1813 /1913 / 2013 – bei Lützows Jägern

29. Oktober 2013, 16:44 Uhr,

Leipzig gedachte dieser Tage zweier zusammenhängender Ereignisse. Zum einen liegt die Völkerschlacht bei Leipzig 200 Jahre zurück, zum anderen thront bereits seit 100 Jahren das gleichnamige Denkmal auf einem Hügel im Süden der Stadt. In einer kleinen Reihe möchten wir uns dem Thema unvoreingenommen nähern, Beteiligte, Verantwortliche und Besucher zu Wort kommen lassen.


1813 /1913 / 2013 – bei Lützows Jägern

Nachdem sich letzte Woche Mathias dem Thema „200 Jahre Völkerschlacht“ eher allgemein genähert hatte, möchten wir diesmal die Hobbyisten selbst zu Wort kommen lassen. Warum lebt man Geschichte nach, verbringt mehrere Tage pro Jahr im Biwak und widmet einen Großteil seiner Freizeit dem Reenactment? Stellvertretend für tausende Leipziger Gäste und dutzende Vereine besuchten wir 2 sehr unterschiedliche oder doch gleiche Interessengemeinschaften.

Da ich mich als geschichtsinteressierter Mensch schon seit Jugendtagen mit dem Thema Befreiungskriege auseinander gesetzt hatte und diese Periode gerade für die Region Leipzig eine bedeutende war, beschäftigten sich folgerichtig bereits mehrere Artikeln mit der napoleonischen Epoche.

Vor 2 Jahren brachten wir einen kurzen Artikel zur Schlachtdarstellung, letztes Jahr nahmen wir am Bürgerfest am Völkerschlachtdenkmal teil und im August sprach Mathias mit Erik Babak, dem Komponisten des Panoramakunstwerk „1813 – In den Wirren der Völkerschlacht“. Diesmal wollten wir nicht nur Zuschauer sein, sondern auch mit den Menschen reden, welche als Darsteller und „greifbare“ Zeitzeugen jedem aufgeschlossenen Besucher ein sehr eindringliches Bild der damaligen Verhältnisse vermitteln, ob nun im Biwak, historischen Dort oder auf dem „Schlachtfeld“. In Vorbereitung des Jubiläums und der von uns geplanten mehrteiligen Reihe hatte ich Kontakt zu einigen Reenactment Gruppen aufgenommen. Diese zeigten sich sehr aufgeschlossen und so vereinbarten wir Interviews + Fototermine für Freitag, den 18. Oktober.

 

Am Abend davor stieß ich auf einen Beitrag der TAZ und war schlichtweg irritiert vom Gelesenen. „Hobbyschlächter“ werden darin die Darsteller betitelt und allgemein „versprüht“ der Autor selbst nur sehr wenig friedlichen Geist. Auch einige andere Magazine, Blogs etc. schlugen in dieselbe Kerbe. Was für Leute sind also die Hobbyisten und wie moralisch „verwerflich“ ist es, sich nicht nur genauer mit dem Thema zu beschäftigen, sondern auch Zuschauer bei der historischen Schlachtdarstellung sein zu wollen?

 

Mit vielen Fragen und einer großen Portion Neugier im Gepäck trafen wir uns kurz nach 9 Uhr am Festanger in Markkleeberg Ost. Thomas hatte wie üblich seine komplette Fotoausrüstung (Stativ, 2 Bodys, mehrere Objektive und Filter) an Bord, ich war mit meinem Notizbuch auf aufnahmebereitem Geist „bewaffnet“. Im gesamten AGRA- und angerenzenden Gelände hatte man Biwakplätze eingerichtet, Pferdeställe, Veranstaltungsbereiche, Exerzierflächen und Marketender untergebracht. Dank Plan gut informiert erreichten wir aber ohne uns zu verlaufen das erste Ziel des Tages.

 

Gegenüber dem Musentempel am „Weißen Haus“, direkt am Seeufer und unter einigen großen Bäumen, hatte das „Freikorps von Lützow“ seine Zelte aufgeschlagen. Der Lagerplatz passte perfekt zur dargestellten Einheit, handelte es sich doch um keine reguläre Truppe, sondern Freiwillige, die aus Ihrem Hintergrund und Einsätzen begründet, von strikten Reglements und festen Lagerregeln eher wenig hielten. So waren mehrere Gruppen Zelte eher locker im frischen Herbstlaub arrangiert worden. Die Darsteller des Freikorps von Lützow kommen wie in der Historie aus ganz Deutschland. 11 Gruppen stellen die einzelnen Kontingente dar, von denen sich in Leipzig ein halbes Dutzend eingefunden hatten. Neben den Rheinländern, deren Gast wir sein durften, befanden sich Detachements aus Torgau und Leipzig (Tiroler Jäger). Kleine 2-Personenzelte sah man ebenso, wie große Behausungen – ideal, um sich unter der schützenden Plane auch bei Nieselregen zu versammeln – und sehr schlichte Formen der Unterbringung, bestehend nur aus Reisig und ein wenig Stroh. Davor hatte man vielfach robuste Tische und Klappstühle aufgebaut, stets in Nähe knisternder Lagerfeuer. Auch einfache Hocker, Bänke und Baumstämme dienten als Sitzgelegenheiten.

 

Wir wurden bereits von weitem erkannt und ans Feuer gewunken. Christian, unser Kontaktmann, stellte uns der Truppe vor und recht schnell fanden wir uns am Tisch sitzend im angeregten Gespräch wieder. Von Beginn an schlug uns die herzliche Stimmung, die Offenheit, das freundliche Miteinander, über Altersschranken, Geschlecht, Herkunft, Wohnort hinweg, in den Bann. Wir fühlten uns weniger wie Reporter, sondern vielmehr wie gern gesehene Gäste. Sicherlich trug dazu auch unsere Einstellung bei, die eben nicht von Vorurteilen oder allzu negativer Presse geprägt war und ist. Bereitwillig und auskunftsfreudig plauderten die Vereinsmitglieder über die Historie der Lützower, Ihre Motivation für dieses Hobby, über Alltäglichkeiten und natürlich über die Veranstaltungen und Leipzig selbst.

 

Der Verein „Das Freicorps von Lützow Rheinland e.V.“ wurde vor 25 Jahren gegründet und umfasst ein gutes Dutzend Mitglieder, vom 14 Jährigen, der durch den Vater in den Verein kam, über junge und gestandene Männer bis hin zur weiblichen Verstärkung in Form einiger Marketenderinnen und Ehefrauen. Brudermeister Manfred ist mit 67 nicht nur das älteste Mitglied, sondern zugleich Kommandeur der Truppe. Man pflegt enge Beziehungen zu allen anderen Lützowern und Reenactmentgruppen, nicht nur im Rheinland, sondern auch bundes- und weltweit. Die – in Erinnerung an eines der vielen Gefechte von 1813-1815 stattfindenden – Biwaks sind jedes Mal Gelegenheit mit Gleichgesinnten über Historie zu sprechen, zu philosophieren, Freunde wiederzusehen und gemeinsam Geschichte nachzustellen und teils nachzuerleben.


Christian kam vor 2 Jahren zum Hobby, weil er als Besucher ein Event erlebte, und begeistert vom Erlebten und dem Wunsch selbst „mittendrin statt nur dabei“ zu sein, von seiner Frau ein bestätigendes “Na mach es doch einfach!“ hörte. Für Ihn ist sein Hobby gelebte Völkerverständigung, denn anders als damals, bekriegt man sich nicht, sondern sitzt zusammen, lernt sich über Sprachbarrieren und Ländergrenzen kennen und (er)lebt Geschichte. Tobias (20) wuchs u.a. mit den Spielen, Filmen und Büchern zur Napoleonischen Zeit auf, beschäftigte sich zuerst mit LARP, wechselte dann aber zum historisch korrekteren Reenactment.

 

Der größte Geschichte- und Geschichtenerzähler im Lager war Olaf, welcher eine eigene, sehr gut recherchierte Seite zur Historie des Freikorps betreibt. Ihn brachte das Interesse an der napoleonischen Ära und insbesondere an den Lützowern zum Hobby, auch wenn er sich „nebenher“ sehr in der römischen Geschichte zuhause fühlt. Eigentlich stellt er einen Husar dar, mangels mitgereister Pferde blieb er bei den Jägern zu Fuß und machte dort dank typischer aufwendig mit Schnüren verzierter Jacke und pelzverbrämtem Umhang eine besonders schneidige Figur. Von Ihm erfuhr ich erstaunlich viel Neues über historische Begebenheiten, über ehemalige Mitglieder des Freikorps, Ausrüstung und Einsätze.

 

Deren typische Uniformfarben, schwarzes Tuch, rot abgesetzt und verziert, dazu goldene Knöpfe, finden sich auch heute noch in der deutschen Flagge wieder. Die Korpsangehörigen, welche ausschließlich aus Freiwilligen bestand, viele damals im Entstehenden befindliche Burschenschaften beinhaltete und zu denen sich manchmal komplette Universitätsjahrgänge meldeten, widmeten Ihren Einsatz nicht nur dem Wunsch nach der Befreiung ihres Landes von französischer Herrschaft. Man kämpfte nicht für Geld, seinen König, aus Rache oder weil es befohlen worden war, sondern aus eigenem Antrieb, einem Freiheitsideal verpflichtet. Erstmals wurde über ein Gesamtdeutschland gesprochen, wurde am Abend philosophiert, studiert, man sang miteinander und äußerte sich über eine moderne vom Bürgertum bestimmte Zukunft. Bedeutende Persönlichkeiten gehörten dem Korps an, von Theodor Körner (Dichter und Dramatiker) oder Ludwig Jahn (Begründer der Turnbewegung), bis hin zu Friedrich Fröbel („Vater“ des Kindergartengedankens). Auch aus obigen Gründen genießt das Freikorps des Major von Lützow auch heute noch ein hohes Ansehen.

 

Natürlich interessierten mich auch Waffen und Ausrüstung und mit Fritz fand ich den passenden Ansprechpartner. Damals waren viele Beutewaffen im Einsatz, den ein Jäger hatte sich selbst um seine Bewaffnung zu kümmern und nahm diese daher bei Gelegenheit dem Feinde ab. Auch bei den Darstellern findet man keine einheitliche Linie vor, sondern französische Steinschloßgewehre wechseln sich mit Jagdbüchsen und Säbel aller Art mit Hirschfängern ab. Will man in diesem Hobby eine Waffe bei sich führen, so muss diese eine Sicherheitsbescheinigung aufweisen, wird regelmäßig überprüft und der Lauf ist gestempelt. Replikate kann man ab 600 € erwerben, soll das gute Stück auf traditionelle Weise hergestellt werden, sind mindestens 3000 € fällig. Wer zusätzlich die Waffe abfeuern möchte (selbstredend ohne Geschoss!), muss 21 Jahre alt sein, eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vorlegen können und den sogenannten Schwarzpulverschein absolvieren. Damit wird sichergestellt, dass jeder Gewehrträger weiß, wie er sich zu verhalten hat, Sicherheitsrichtlinien kennt und auch psychologisch eine gesunde und respektvolle Einstellung zum Umgang mit Sprengstoffen und Waffen allgemein aufweist.

 

Während ich die vielen neuen Informationen (von denen ich im Rahmen des Artikels aus Platzgründen leider nur Teile wiedergeben kann) in mich aufnahm, Notizen machte und nachfragte, dirigierte Thomas die Truppe für Gruppenaufnahmen, erstellte Portraits, versuchte das Lagerleben einzufangen. Seine Aktivitäten sorgten für einige Aufmerksamkeit, denn auch andere Besucher, Fotografen, Darsteller der verschiedensten Einheiten, Anwohner u.v.m. nutzten die Gelegenheit für tolle Aufnahmen oder einfach nur um in engeren Kontakt zu kommen. Kurz vor Ende wurden alle Lützower zusammengerufen und für die nächsten beiden Tage gebrieft. Neben Organisatorischem, den Zeitplänen für Exerzieren, An- und Abmarsch, Aufstellung und Einsatzvorgabe für die Schlachtdarstellung, widmete man sich intensiv dem Thema Sicherheit. Wer glaubte, beim Reenactment könne man „wild in der Gegend rumballern“ oder Krieg spielen, wurde hier erneut eines Besseren belehrt.

 

Apropos „Krieg spielen“: nichts liegt den Hobbyisten ferner. Von „Hobbyschlächtern“ (entschuldigt, dass ich diesen absolut unpassenden Ausdruck nochmals verwenden muss), Kriegsverherrlichung, nationalistisch-rechtem Gedankengut oder einem falschen Geschichtsverständnis keine Spur. Im Gegenteil, egal mit wem ich redete (und das trifft auch auf alle anderen Hobbyisten, die wir später am Tage noch trafen, zu), man war sich besonders deutlich der Geschehnisse und des Schreckens, der vor 200 Jahren herrschte bewusst. Sich mit der Geschichte zu beschäftigen, heißt diese verstehen zu lernen und daraus Lehren ziehen zu können. Und so ist es auch kein Wunder, dass sich einzelne Mitglieder dem Thema Volksbürgerliche Aufklärung z.B. durch unterhaltsame, und eben dadurch besonders eindringliche Vorträge in Schulklassen widmen. Statt trockenem Lehrstoff aus dem Geschichtsbuch, erzählt und liest man aus Tagebüchern, berichtet vom Leben der Bevölkerung, der Soldaten, kann Fragen viel fundierter und verständlicher beantworten, als jeder Fachlehrer, für den diese Periode eben nur eine von vielen aus dem Lehrplan ist.

 

Leider neigte sich unsere Zeit dem Ende zu und so rückten wir begleitet von freundlichen Worten ab in Richtung Pleiße und französisches Lager, welchem wir auch den nächsten Artikel widmen werden. Viel Spaß beim verfolgen der Links, kommentieren, verteilen und liken.


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