Schul(ungs)bedarf

22. Juli 2011, 10:20 Uhr,

Schulungsnotstand: gestresste Lehrer, bröckelnde Schulgebäude, überfüllte Klassen. Panikmache oder Realität?


Schul(ungs)bedarf

Wir haben auf dem Blog schon mehrfach die Themen Überalterung der Bevölkerung und Bevölkerungsschwund gestreift.

Diese Tendenzen sind weiterhin gültig, dennoch steigen seit Jahren die Geburtenraten. Noch immer liegt Deutschland weit unter dem Durchschnitt anderer Länder (vergleiche Norwegen), aber der Trend ist da und damit einhergehend eine Menge Probleme.

In Kinderbetreuung, Bildungswesen, Schulen und Vereine wird nicht investiert, im Gegenteil man hat sich ans Abbauen gewöhnt, ans Streichen von Geldern, Stellen, Bauvorhaben.

Das führte u.a. zur Schließung von Kindergärten, Grund- und Mittelschulen, Gymnasien usw..

Das dahinterliegende Schema wurde nicht immer klar. Denn oft betraf dies gerade Einrichtungen, welche z.B. frisch renoviert und/oder modernisiert worden waren. Auch die immer wieder veränderten Zuständigkeiten durch Landkreisreformen sorgten für unverständliche oder schlecht durchdachte Zusammenlegungen von Schulen und Betreuungseinrichtungen.

So wurde systematisch (?) ausgedünnt und erfahrene Fach- und Lehrkräfte entlassen.

Im Gegensatz dazu presste man in (weiter)bestehende Einrichtungen immer mehr Kinder und Jugendliche. Das unter solchen Umständen die Qualität leidet versteht sich von selbst!

Bei den Verwaltungen und Behörden von Städten und Ländern scheint man sich dessen wenig bewusst zu sein (oder Geldmittel werden eben doch lieber in prestigeträchtige Ressorts umgeleitet).

Ich habe dies in den letzten Jahren leider immer wieder feststellen müssen.

Zeitnah nach der Geburt meines Sohnes begannen wir nach einer Unterbringung im Ort (damals im Leipziger Land) zu suchen. Doch egal wo, es existierten (und tun es noch) lange Wartelisten, auf denen man sich eintragen konnte. Von unkomplizierter Kinderbetreuung, die den Eltern die Ausübung eines an gängige Arbeitszeiten gebundenen Job’s ermöglicht, keine Spur.

Wir mussten über 1,5 Jahre auf einen freien Platz warten. Gerade für alleinerziehende Mütter und Väter ein Unding! Wie schnell kann man in die (Dauer)arbeitslosigkeit abrutschen oder zum sozialen „Problem“fall werden. Dabei möchte ich das Thema gar nicht erst auf Ganztagsbetreuung ausweiten, eine Variante, die u.a. in Nachbarländern Gang und Gebe ist und vom Staat teils kostenfrei angeboten wird. Nicht so bei uns in Deutschland.

Es ist nicht nur für die Eltern wichtig, Ihr Kind gut versorgt zu wissen, damit Sie selbst Ihrem Berufsleben nachgehen können. Auch das Kind selbst bedarf dem Aufwachsen in einer Gruppe von Gleichaltrigen, einem sozialen Gefüge, welches das Elternhaus allein nicht bieten kann.

Wichtige soziale Fähigkeiten, wie den richtigen Umgang mit Anderen lernt der junge Mensch am besten in Kinderkrippe und –garten. Spielerisch prägen sich dort bei den Kindern auch andere Fähigkeiten, wie Koordination, Konzentration, Feinmotorik usw. aus. In der Vorschule schließlich findet eine gute Vorbereitung auf den späteren Schulalltag statt. All das und mehr entfällt, wenn Eltern Ihren Nachwuchs ausschließlich daheim aufziehen können.

Steigende Geburten werden in den nächsten Jahren weiter dafür sorgen, dass nicht genügend Plätze zur Verfügung stehen. Tagesmütter oder ähnliche „privatere“ Betreuungskonzepte können den wachsenden Bedarf nicht bewältigen. Kollegen von mir berichten von ähnlichen Problemen bei der Suche nach Unterbringung. Das Problem existiert also nicht nur in ländlichen Gegenden, sondern auch boomenden Städten wie Leipzig.

Leider löst sich der Knoten nicht mit Erreichen des Schulalters. Im Gegenteil, die Zustände an unseren Schulen sind erschreckend, schon jetzt! Wie bereits angesprochen, Tendenz steigend. In den nächsten Jahren werden in Leipzig und vergleichbaren sächsischen Städten, wie Dresden oder Chemnitz, tausende neue Schüler einen vernünftigen Platz zum lernen benötigen, motiviertes und qualifiziertes Lehrpersonal und das Ganze in Wohnbezirknähe.

Bereits jetzt ist es „normal“ sein Kind durch die halbe Stadt zum Unterricht zu schicken. Mehrere Stadtteile Leipzigs sind bereits unterversorgt und können die Schüler des eigenen Stadtteils nicht mehr aufnehmen. Dazu kommt der Zustand der Schulen selbst. Wenn man offenen Auges durch die Straßen fährt, fällt einem unweigerlich auf, wie marode sich die – meist noch aus den 70’ern stammenden – Plattenbauten „präsentieren“. Gammelige Fenster, fehlender Anstrich, Schäden in der allgemeinen Bausubstanz (Risse, Wasserschäden) usw. prägen das Bild. Innen wird mit den begrenzten Mitteln durchaus versucht ein angenehmes Lernklima zu schaffen und Lehrer & Schüler kümmern sich oft gemeinsam um die Außengestaltung, pflegen Grünbereich und Schulhof. Meine Stieftochter wird Ihr letztes Schuljahr auf einer solchen Schule verbringen. Die ersten Eindrücke bei der Besichtigung schockierten Sie, nur die wirklich netten Fachkräfte der Schule und herzliche Atmosphäre entschädigten für die Mängel des Gebäudekomplexes selbst.

ungenutze Schule Leipzig Süd-Ost

Natürlich gibt es Ausnahmen, schöne Alt- oder Klinkerbauten, Schulen und Gymnasien mit 100jähriger Tradition, auch das existiert in Leipzig. Schade, dass nicht alle Schüler in solchem Umfeld lernen können.

Mit dem Anwachsen der Schülerzahlen werden die existenten Schulen noch auf viele Jahre hinaus voll ausgebucht, nein überbelegt sein, denn wohin sollte man die überzähligen Schüler auch schicken?

Spätestens 2012 muss ein durchdachtes Konzept  zur Problemlösung umgesetzt werden. Bestehende Schulen müssen dringend saniert, Klassenräume und Lehrmittel modernisiert werden. Parallel dazu bedarf es eines Neubauprogramms für Grund-, Mittel- und Ganztagsschulen, Gymnasien, Hortbetreuung usw. Man sollte darauf achten, diese Neubauten passend zu den Wachstumsraten der einzelnen Stadtteile, ganz Leipzigs und auch den Landkreisen entstehen zu lassen.

Passiert dies nicht in relativ kurzer Zeit, erreichen wir bald wieder Klassenstärken von 30+ Schülern.

Und selbst dabei wird es nicht bleiben, denn Klassenräume haben eine begrenzte Größe, zu viele Schüler kann ein Lehrer nicht vernünftig händeln.

Was dann? Schule im Schichtbetrieb?

Neben vorschulischer Kinderbetreuung und Schulinfrastruktur gibt es noch einen dritten wichtigen Punkt in der ganzen Thematik, welcher mir Magendrücken verursacht. Es geht um die Lehrkräfte.

An der bisherigen Schule meiner Stieftochter merkte man den Angestellten sehr deutlich Ihre Überforderung und/oder mangelnde Qualifiaktion an. Das äußerte sich z.B. in einem fehlenden Miteinander von Lehrern und Direktorat, in einer sehr hohen Anzahl an Fehlstunden, an Vertretungslehrern, die nicht in der Lage wahren, zumindest grundlegende Stoffthemen fortzuführen oder auch nur Aufgabenblätter zu verteilen, in Lehrkräften die vor Stundenbeginn Beruhigungstabletten schlucken müssen und vor allem in Schülern, die leistungsmäßig weit unterm Durchschnitt liegen (wie es auch anders geht zeigt dieser Beitrag).

Auch hier weiß ich von vergleichbaren Zuständen an anderen Schulen.

Nun stelle man sich eben jenes Lehrkollektiv in einigen Jahren vor:

  1. die Schüler schlechter vorbereitet bzw. „grundgebildet“
  2. die Anzahl der Schüler erhöht
  3. die Ausstattung mangelhaft
  4. kaum Zeit für Vor- und Nacharbeiten

Wie gut, werden dieselben Personen dann in der Lage sein, adäquat Wissen zu vermitteln..?

Ist es nicht Zeit, umzudenken, mehr statt weniger Fachkräfte einzustellen, diese regelmäßig weiterzubilden, Ihnen Nebentätigkeiten abzunehmen und vor allem die Motivation von Lehrern und Schülern, Ihre Einstellung zu ändern?

Ich male die Situation absichtlich in dunklen Tönen, denn es geht schließlich um die Entwicklung, die Bildung meiner Kinder, die hier auf der Kippe steht. Ich möchte, ich erwarte, dass diese eine hochwertige Schulbildung genießen können. Welches Elternteil würde dies anders sehen?

Meinungen zu diesem Thema sind gefragt!


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