Handwerk im Fokus – Blüthner

8. Juli 2014, 12:23 Uhr,

Handwerk im Fokus war erneut auf den Spuren des guten, des goldenen Tons unterwegs. Viel Spaß beim Lesen.


Handwerk im Fokus – Blüthner

Handwerk im Fokus stellt in unregelmäßiger Folge interessante, (fast) unbekannte, traditionsreiche Gewerke, Ihre Meister und Meisterstücke vor. Diesmal besuchte für uns Mathias Schulze ein besonders renomiertes Unternehmen, die Klavier- und Pianomanufaktur Blüthner.

In der Nähe des Marktplatzes in Leipzig kurbelt die Verkäuferin Helgard Osterkamp den Pianohocker hoch, ein 11-Jähriger nimmt an einen aufgearbeiteten Flügel Platz, erfüllt den Blüthner-Verkaufsshop mit Leben und fragt: „Soll ich mal Grieg spielen?“. Gefragt, getan. Der Vater strahlt, mit sechs Jahren hätte man den Sohnemann an der Musikschule angemeldet. Das tägliche Üben sei eine Pflicht, das musikalische Talent allein reicht nicht aus. Osterkamp, die immer mal wieder Prominente aus aller Herren Ländern begrüßt, berät zusammen mit ihrer Mitarbeiterin.

Im Blüthner-Fachgeschäft am Marktplatz kann getestet werden

Klaviere gibt es heute in zwei Hauptbauformen: Flügel und Piano. Manche suchen etwas für den Hausgebrauch, denn ein Piano kann man platzsparend an die Wand stellen. Manche finden hier für die großen Konzertstunden einen frei im Raum stehenden Flügel. Beim Differenzieren der Interessen wird geholfen. Ein Konzertflügel kann schon einmal 100.000 Euro kosten, beim klanglich stimmenden Piano fängt es bei ungefähr 3000 Euro an.

Hergestellt werden die Instrumente jedoch woanders. Unter anderem auch in Großpösna, vor den Toren der Musikstadt. Dort, zwischen im Frühjahr gelb leuchtenden Rapsfeldern und mitten im Gewerbegebiet Störmthal, befindet sich seit 1996 die Pianaofortefabrik Blüthner.

Tonangebender Familienbetrieb

Die Ausstellungshalle in Großpösna zeigt eine Auswahl fertiger ProdukteDer Vater des Erfolges: Julius Blüthner

In der Dechwitzer Straße 12 spürt man bereits in der Eingangshalle die Tradition. Julius Ferdinand Blüthner ist der Urvater und ihm wird mit einem großen Porträt gedacht. 1853 gründete er in Leipzig eine Herstellungstradition, welche heute in der fünften Generation, unter der Leitung von Christian und Knut Blüthner-Haessler, fortgesetzt wird. Blüthner ist ein Familienbetrieb und einer der ältesten Klavierproduzenten der Welt. Bei der Herstellung greift man auf die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zurück. Klavier ist nicht Klavier, auch wenn es dem Laien so erscheinen mag. Wichtige Besonderheiten der Blüthner-Modelle liegen unter der Haube. So entwickelte der Gründer eine neue, einzigartige Mechanik, wie man diese sonst nirgens findet. Verfeinert durch die Erfahrungsberichte und den Einsatz in Konzertsälen rund um die Welt und mit einer großen Anzahl Preisen bedacht, ist diese mittlerweile zur Perfektion gereift. Mechanik und Design haben sich, bis auf subtile Unterscheidungen bewährt. Hier muss nichts mehr neu erfunden werden. Früher waren die Beine rund, heute sind sie eckig. Ein einfaches Design hat sich durchgesetzt, Holzschnitte findet man eher auf älteren Herstellungen.

Knut Blüthner, gerade dabei einen Flügel zu intonieren, erläutert: „Wir beschäftigen gerade ungefähr 80 Leute und arbeiten – ganz im Sinne unserer Firmengeschichte – sehr handwerklich. Die industrielle Produktion stellt Geräte, wir Instrumente her.“ Fünf verschiedene Klaviergrößen und acht verschiedene Flügel entstehen in der Dechwitzer Straße, jährlich sollen es zwischen 400 und 500 neue Instrumente sein. Zudem können hier ältere Modelle, auch von anderen Herstellern, eine Instandsetzung und Neubelebung erfahren.

Das Design wird ganz nach Wunsch gestaltetFamilientradition seit 1853

Im zweiten Weltkrieg wurde die Fabrik zerstört, im real existierenden Sozialismus in Leutzsch produziert. Das VEB-Wappen ist, scheinbar unverwundbar, noch auf einigen Gußplatten zu sehen. Heute wie damals wird das Spezifikum der Blüthner-Werke, das sogenannte Aliquot-System, wonach eine vierte zusätzliche Saite die Klangfarbe verändert und die Hörbarkeit der Obertöne verstärkt, in die ganze Welt geliefert. Eine besondere Beziehung gibt es nach Großbritannien, die Verbindungen dorthin konnten auch in der DDR aufrecht erhalten werden. Trotz der Exporte, die unbeeindruckt vom herrschenden Gesellschaftssystem stets auch ins Ausland führten, gingen die Jahre nicht spurlos vorüber. Obwohl das Telefon keine Ruhe geben will, reflektiert Knut Blüthner entspannt den Markt: „Mit Blick auf die ehemalige DDR kann man sagen, dass uns eigentlich 40 Jahre Marketing fehlen. Wir setzen aber weiterhin darauf, dass die Künstler aus Überzeugung mit uns spielen.“

Handwerk auf höchstem Niveau

Tasten und Hämmer: hier sind Erfahrung und Präzision gefragt.Der Rahmen steht.

An den Wänden, die zur Produktionsstätte führen, hängen dann auch die Bilder der Überzeugten: Wilhelm Furtwängler, Dmitri Schostakowitsch, Pjotr Tschaikowski oder Konstantin Wecker, die Liste der Hall of Fame ist lang und prominent.

Hinter den Feuerschutztüren, Poliermasken und Lärmschutzkopfhörern, kurzum in den Räumlichkeiten der Herstellung, herrscht auch eine entsprechend verwurzelte Grundhaltung. Es ist ein langer Arbeitsprozess, denn von der Holzlieferung bis zum fertigen Flügel dauert es ungefähr sechs Monate. Alle Mitarbeiter sind echte Könner auf ihrem Gebiet, auf bestimmte Arbeitsschritte spezialisiert und widmen sich dem Klavierbau mit großer Detailverliebtheit.

Das fängt schon beim Holz an. Fichte soll es für den Resonanzboden sein. Die mindestens 150 Jahre alten Bäume werden 10 Jahre getrocknet. Rotbuche und Kiefer kommen für das Gehäuse in Betracht. Dafür wird das Holz geleimt und geformt, das kurvige Gehäuse ergibt später mit dem Resonanzboden eine tonangebene Symbiose. Die symmetrischen Furniere hingegen sind aus Mahagoni oder Nussbaumwurzelholz.

Heike Schmirler bei FurnierarbeitenDie fünfte Generation des Familienbetriebes: Knut Blüthner:

Heike Schmirler, gelernte Klavierbauerin und seit 26 Jahren in der Firma, ist auf die Furnierarbeiten spezialisiert. Sie erfüllt individuelle Kundenwünsche, die Außenwirkung sei eine besonders wichtige Komponente. Die Dekorationstechnik, Kennern unter dem Begriff Intarsien bekannt, erklärt sie so: „Ich komponiere einzelne Furnierblätter bis diese ein stimmiges Furnierbild ergeben.“ Herr Kirsch, seit 1972 in der Firma, bringt die Mechanik in die Instrumente. Ein Klavier besteht in seiner Summe aus mehr Teile als ein Auto, über 6000 sind es. Kirsch erklärt: „Der Hammer muss genau zur Saite passen, jede Taste muss einzeln abgewogen sein, denn der Komponist will für jeden Tastenanschlag die gleiche Kraft aufbringen.“ Jede Saite wird einzeln geknotet, so kann im Falle des Reißens einer Saite das Konzert dennoch weitergehen. Auch Stephan Brandenburger ist gelernter Klavierbauer, seit 2010 hauptsächlich für das Stimmen und Intonieren verantwortlich. Er gehört zur jüngeren Generation und beschreibt seine Aufgabe kurz und knapp: „Ich sorge für den schönen Klang.“

Der Hammer muss genau zur Seite passenDer Klavierbauer Stephan Brandenburger bei der Arbeit Für das Marketing verantwortlich: Kristina Richards aus Kalifornien

Kristina Richards aus Kalifornien sorgt sich hingegen um das Marketing. Die Amerikanerin fasst die Töne erzeugenden Abläufe für physikalische Laien zusammen: „Das Tastenspiel bewegt den Hammer. Dieser bringt die Saiten in Schwung. Schwingt dann die Luft gegen den Resonanzboden, ist die Voraussetzung für einen Seele und Geist erquickenden Klang gegeben.“ Das Spielwerk sorgt also dafür, dass der Hammer die Saiten anschlägt. Die Schwingungen der Saite werden dann über den Steg auf den Resonanzboden übertragen. Da die Saiten nur sehr dünn sind und dadurch wenig Luft in Bewegung setzen können, benutzt man einen Resonanzboden, der eine große Fläche hat. Somit kann er die Luft anschieben und dadurch wird der erzeugte Ton gut hörbar.

Die Geburtsstunde eines echten Blüthners

Wer sich (noch) keinen eigenen Blüthner-Flügel leisten kann, aber dennoch an eben jenen Instrumenten spielen möchte, kann dies seit 2007 in der Blüthner-Klavierschule tun. In Zusammenarbeit mit der virtuosen Pianistin Anna-Maria Maak finden in Leipzig Kurse für 8 – 80jährige statt und begeistern sich Anfänger wie Profis am besonderen Klang der hölzernen Meisterwerke.

Die Ziele für die nächsten Jahrzehnte sind bereits fest definiert, man wolle noch mehr größere Bühnen beliefern. Dabei gibt es ein logistisches Problem, denn zahlreiche Tastenvirtuosen spielen mal in Paris, mal in New York und am nächsten Tag wieder in Leipzig. Ein Flügel kann schwerlich hinterher geflogen werden. So sind es die festen Stellplätze, die heiß begehrt sind. Kommt beispielsweise eine Martha Argerich ins Gewandhaus, so spielt sie dort auf dem Blüthner-Flügel. In Leipzig ist man beispielsweise im Schuhmann-Haus, im Gohliser Schlösschen oder auch im Alten Rathaus präsent.

Dort werden regelmäßig Klangwelten erprobt, die ein 11-Jähriger bestenfalls noch vor sich hat. Die Klavierbauerin Heike Schmirler inspiziert dann wohl ganz im Stillen das Furnierbild, Herr Kirsch erfreut sich am funktionierenden Hammer. Für die anderen Zuhörer soll aber dann das Herstellungshandwerk in den Hintergrund treten. Gelingen die Stunden der Muse, hat man wieder einmal ganze Arbeit geleistet.

Mehr Informationen unter: www.bluethnerworld.com


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