1813 /1913 / 2013 – Die Suche nach der angemessenen Erinnerungskultur

21. Oktober 2013, 14:43 Uhr,

Leipzig gedachte dieser Tage zweier zusammenhängender Ereignisse. Zum einen liegt die Völkerschlacht bei Leipzig 200 Jahre zurück, zum anderen thront bereits seit 100 Jahren das gleichnamige Denkmal auf einem Hügel im Süden der Stadt. In einer kleinen Reihe möchten wir uns dem Thema unvoreingenommen nähern, Beteiligte, Verantwortliche und Besucher zu Wort kommen lassen.


1813 /1913 / 2013 – Die Suche nach der angemessenen Erinnerungskultur

Seit dem 16. Oktober liefen die Gedenktage zur Völkerschlacht. Am Sonntag trafen sich 6000 Hobbyisten zum „spielerischen Säbelrasseln“ zwischen Markkleeberg und Wachau. Das sogenannte „Reenactment“, vom MDR zur Live-Ticker-Show im „Brennpunkt“-Stil gemacht, wurde in Leipzig von zahlreichen Diskussionsangeboten umrahmt. Wo wird wie was gedacht? Mathias Schulze hat sich umgehört.

Die Schlacht auf den Feldern um Leipzigs liegt 200 Jahre zurück. Die in den letzten Tagen deswegen stattfindenden Aktivitäten waren so zahlreich und unterschiedlich, wie die regionalen und überregionalen Berichterstattungen selbst. Schaut man sich vier zentrale Schauplätze an, gab es zumindest eine Gemeinsamkeit: Alle rangen mit der Frage nach einer gelungenen Erinnerungskultur. Da stellte das Stadtmagazin „Kreuzer“ angesichts der monströsen Menschenopferanzahl schlichtweg fest, dass es nichts zu feiern gäbe. Die TAZ sprach sogar von „Hobbyschlächtern“ und dem bedrohlich und düster wirkenden Denkmal. Andererseits inszeniert der Mitteldeutsche Rundfunk eine Aktualitätssimulation, die einen Marktanteil von 13,7 Prozent erreichte. Geschichtsinteressierte Historiendarsteller entledigten sich für kurze Zeit den Zwängen der Berufswelt und trafen sich als Freunde im Biwak und bei der Gefechtsdarstelllung. Und mittendrin diskutierte man im Schauspiel-Haus mit preisgekrönten Schriftstellern zum Thema „Ach, Europa! Ein Kontinent zwischen Untergang und Wiedergeburt.“

 

Karl Schlögel, Inhaber des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung, bezog beim am 16. Oktober stattgefundenen Verständigungsprozess der Schriftsteller eine eindeutige Position: „Das Völkerschlachtdenkmal ist ein besonderes stilistisches Bauwerk. Fernab aller Instrumentalisierungen kann man diesen monumentalen Jugendstil nur bewundern.“ Der Österreicher Martin Pollack, ebenfalls Träger besagten Preises, sah es kritischer, aber hielt letztlich mit der Erinnerung an den Berliner Reichstag und einer Portion Gelassenheit dagegen: „Man kann es ja mal umhüllen.“ Die Völkerschlacht selbst spielte eine marginale Rolle. Die Probleme des heutigen Europas seien andere. Da gäbe es den Widerspruch zwischen den urbanen modernen Städten und der ländlicher Abgeschiedenheit, da gäbe es eine Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die schneller ist als die Begriffe der Kulturschaffenden.

 

Zu der Einsicht, dass es zu einem friedlichen Europa keine Alternative gebe, sollte auch die Schlachtsimulation des Mitteldeutschen Rundfunks beitragen. Der Tagesthemensprecher Ingo Zamperoni betonte: „Wir können es gar nicht oft genug wiederholen, wie wichtig es ist, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Und da freut es mich besonders, dass die „MDR TOPNEWS“ diese vermitteln.“

Auf den „Schlachtfeldern“ um Markkleeberg, mittendrin in den Vorbereitungen der Hobby-Soldaten, wurde gar behauptet, dass man bereits der internationalen Freundschaft innigst dient. Ein Schnapsbrenner erzählte: „Wir sind keine militärischen Freaks. Wir wollen auch nicht die Probleme Europas lösen. Aber wenn man sieht, dass und wie sich hier die unterschiedlichsten Nationen begegnen, dann kann man doch behaupten, dass unser Event etwas zur Völkerverständigung beiträgt.“

 

Tatsächlich reichten sich die Menschen beim Leipziger Kartoffelbrandschnaps die Hände und feierten fröhlich den Ausbruch aus der oftmals tristen Arbeitsmonotonie. Voller Stolz wurden die handgefertigten Kostüme hergezeigt. Ein Offizier aus Hessen erklärte: „Wir singen am Abend am Lagerfeuer zusammen, treffen alte Bekannte. Höre ich auf dem Schlachtfeld die Pferdeattacken, spüre ich die Unlust auf einen Krieg sehr deutlich.“ Den Vorwurf der Kriegsverherrlichung teilen die Hobby-Schauspieler nicht, die zelebrierte Kameradschaft sei etwas Friedliches. Auch die ebenfalls anwesenden Kostümfans vermitteln den Eindruck, dass sie den schon längst gesellschaftlich sanktionierten Karnevalsfestivitäten in nichts nachstehen. Professor Doktor Günther Heeg versuchte die Faszination des sogenannten Reenactment, des Nachspielens historischer Situationen, mit der gesellschaftlichen Gegenwart in Verbindung zu bringen:„Es ist kein Zufall, dass in Zeiten der Globalisierung solche Veranstaltungen zunehmen. In Zeiten in denen kollektive Identitäten in Frage gestellt sind, in denen kulturelle Orientierungen mit anderen konkurrieren müssen, verbindet sich mit einem zusammenhängenden Geschichtsbild ein Gefühl der Identität mit der Gemeinschaft.“ 

Man kann die in Leipzig stattgefundenden Ereignisse als Fragen nach einem gemeinsamen Geschichtsbild und nach der friedlichen Zukunft Europas verstehen. Das Plädoyer für eine angemessene Erinnerungskultur wird aber nicht ohne das vorurteilsfreies Verständnis der Event-Feierlichkeiten auskommen können. Pauschale Verurteilung wird dabei nicht ausreichen. Diese Feierlichkeiten gehören zu den Phänomenen der Gegenwart, die zu verstehen – auch für die Zukunft – notwendig sind.


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