Yourtopia Ausstellung

8. Juli 2016, 11:35 Uhr,

In der Halle 14 auf dem Leipziger Spinnereigelände zeigen Schüler ihre Utopievorstellungen in Form von Legobausteinmodellen. Mathias Schulze war zur Eröffnung der Ausstellung „Yourtopia“ vor Ort.


Yourtopia Ausstellung

„Wir wollen alle miteinander auskommen“

In der Halle 14 auf dem Leipziger Spinnereigelände zeigen Schüler ihre Utopievorstellungen in Form von Legobausteinmodellen. Mathias Schulze war zur Eröffnung der Ausstellung „Yourtopia“ vor Ort.

Alle waren sie aufgeregt, es gab ein quirliges Lachen und Flüstern bis kurz vor der Präsentation. Gut 60 Schüler und Schülerinnen aus der Leipziger Helmholtz- und Petri-Schule, alle im Alter von 12 bis 16 Jahren, waren letzte Woche in der Halle 14 auf dem Leipziger Spinnereigelände. Es ging um ihre Wünsche und Utopien, es ging um ihre Legobausteinmodelle. Unter der Anleitung von Ina Nitzsche und Uwe Fischer stand eine Frage im Vordergrund: Wie wollen wir miteinander leben?  Bunt und lebendig war der Haupteindruck, die Ausstellung zum Projekt „Yourtopia“ ist noch bis Ende Juni zu sehen und Teil der großen und rahmenden Schau „Capitalist Melancholia“, die noch bis 7. August am gleichen Ort zu bestaunen ist.

Am Anfang erklärten Michael Arzt, künstlerischer Leiter der Halle 14, und Jens Berger von der finanzierenden PwC-Stiftung, dass das Projekt „Yourtopia“ kulturelle und ökonomische Bildung vereinen soll. Gleich der erste Schülerauftritt der Wortführer aus einer 9. Klasse zeigte, wie dringend solcherlei Bildung ist. Die Schüler erklärten schnurstracks heraus: „Wir haben uns für eine offene Diktatur entschieden!“ Für den freiberuflichen Uwe Fischer, Jahrgang 1974, sind solche Ansätze kein Wunder, er kennt die Verhältnisse an den Oberschulen Sachsens genau. Fischer erzählte: „Es gibt Schüler, die sagen, dass sie sich aufs lebenslange Playstationspielen freuen. Die rechnen vor, dass Hartz IV dafür völlig reicht. Mein Werkzeug sind die Legosteine, bauen macht allen Spaß. Es geht um einen Prozess der Auseinandersetzung, daher arbeite ich ohne plakative Phrasen. Die verbauen nämlich nur das Eigentliche.“ Das Eigentliche? Es geht bei Projekten wie „Yourtopia“ um demokratische Prozesse, um ein Bewusstsein darüber, dass die Religions- und Meinungsfreiheit ein Grundrecht für alle ist. Sehr oft bilden und formen sich erst im Gespräch, also in der Reibung mit Anderen deutliche soziale Haltungen. Als das Projekt vor anderthalb Jahren begann, fiel der Begriff „Diktatur“ noch ohne den Zusatz „offen.“

Ein Bildungsprozess wurde in Gang gesetzt. Ina Nitzsche, Jahrgang 1981, ist Kunstvermittlerin in der Halle 14. Sie hat, wie Fischer auch, über 100 Arbeitsstunden investiert. Ihre Erfahrungen? „Hier spiegeln sich gesellschaftliche Vorgänge im kleinen Rahmen. Zuerst wird das reproduziert, was die Schüler im Umfeld hören, in Videospielen erfahren, im Netz finden. Wir dürfen nichts tabuisieren, sonst macht das keinen Sinn“, so Nitzsche. So kam es, dass zu Beginn folgende Dinge als positiv formuliert wurden: Die nervigen Geschwister gehören abgeschoben. Warum kommen keine Stimmungsaufheller ins Grundwasser? Warum töten wir Kranke nicht einfach? Nitzsche zeigte auf ein Legomodell, das eine Entwicklung während des Projektes dokumentiert: „Das hier ist die Puddinginsel, hier herrschen paradiesische Zustände. Pizzabäume, Schokobüsche, Einhörner, die alle Menschen gesund machen. Die nervenden Geschwister dürfen nun hier wohnen.“ Ein Mädchen zu ihrer Ferieninsel: „Man kann sich nicht aussuchen, ob man eine Frau oder einen Mann liebt. Deswegen darf bei uns jeder lieben, wen er möchte.“ Ein Junge auf die Frage, welche Utopie er bevorzuge: „Utopie klingt so hochtrabend. Ist doch klar, wir wollen alle miteinander auskommen. Das bringt doch nichts, wenn der Eine reich und der Andere arm ist.“ 

Fischer lachte: „Der Gedanke jegliches Geld abzuschaffen, war besonders beliebt.“ Weiter sei man erst einmal nicht gekommen, Fischer schob erklärend hinterher: „Heute sind vor allem dystopische, also zukunftspessimistische, Fiktionen total in. Gibt es Videospiele, die zu positiven Utopien anregen?“ Das Große im Kleinen, viele beliebte Serien und Filme bringen vor allem eine gesellschaftliche Kälte und Untergangsszenarien in atemberaubende Bilder. Das reproduzieren die Schüler, Projekte wie „Yourtopia“ geben ihnen die Chance zu begreifen, dass Gedanken an eine erstrebenswerte Ordnung immer noch möglich sind. Und zwar auch dann, wenn sie in ihrem Medienkonsum kaum vorkommen. Abschließend sprach ein Lehrer vielsagende Worte: „Mich hat es beeindruckt mit welchem Spaß und mit welcher Kreativität die Schüler zu Werke gegangen sind. Das hat man im Unterricht nicht oft.“ Die Halle 14 ist von Dienstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr geöffnet.


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