Digitale Revolution

18. August 2016, 14:31 Uhr,

Unser Alltag ist durchzogen von Laptops, Computern, Handys und Smartphones. Das Schlagwort „Digitale Kompetenz“ fällt immer öfter. Zweifelsohne, wir stehen mitten in einem Prozess, den wir vermutlich noch gar nicht vollständig begreifen können. Umso wichtiger ist es, Fragen zu stellen, Mathias Schulze hat einige davon gesammelt.


Digitale Revolution

Digitale Revolution – Was ist das?

Eindrücke vom Foresight-Filmfestival in Halle.
Unser Alltag ist durchzogen von Laptops, Computern, Handys und Smartphones. Das Schlagwort „Digitale Kompetenz“ fällt immer öfter.

Unser Alltag ist durchzogen von Laptops, Computern, Handys und Smartphones. Und was nicht alles möglich ist: Musik hören, fotografieren, chatten, surfen im Netz, Onlinespiele. Der Austausch über die eigenen kulturellen Vorlieben kann an jedem Ort und zu jeder Zeit stattfinden. Entscheidende Bereiche des Lebens, Sozialkontakte, Freundschaften und Freizeitaktivitäten, sind allesamt digital geprägt. Doch wird Kommunikation dadurch immer vereinfacht? Oder führt die permanente Erreichbarkeit zu neuem sozialen Druck, vielleicht sogar zu sozialer Ausgrenzung? Keine Frage, die sogenannte Medienkompetenz ist ein Schlüsselbegriff unserer Zeit. Was passiert, wenn man pausenlos kommunizieren kann? Was bedeutet es, wenn ungefähr 1,4 Milliarden Menschen täglich ihre Erfahrungen bei Facebook zu „Likes“ verarbeiten? Wie verändert sich dadurch der Begriff „Freundschaft“? Oder noch allgemeiner formuliert: Wie verändert sich dadurch unsere Gesellschaft?

Giessmann-Interview

Nur eins scheint momentan gewiss zu sein: Wir wissen, dass sich etwas verändert. Nur was genau, das können wir oft nur recht unklar sagen. Das führt zu Polarisierungen. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die die digitale Revolution verteufeln, ganz getreu dem Motto: Die ewige Zerstreuung wird uns endgültig unseren höheren Fähigkeiten berauben, sie wird uns entpolitisieren, während der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und Andere immer reicher werden. Man nehme hierfür beispielsweise das extrem lesenswerte Buch „Hyperaktiv! Kritik der Aufmerksamkeitsdefizitkultur“ vom Philosophen Christoph Türcke zur Hand. Anderen scheint die digitale Revolution eine ganz spezifische „Weltenrettung“ zu sein, ganz getreu dem Motto: Jetzt ist die Chance einer globalen Wertegemeinschaft gekommen! Roberto Simanowski, Literatur – und Geschichtswissenschaftler, hat erst neulich im Verlag Matthes & Seitz Berlin das Buch „Facebook-Gesellschaft“ herausgebracht. Er ist einer von vielen Wissenschaftlern, die es wagen, den Prozess, in dem wir stecken, zu analysieren. Schwer genug ist es, der Mut zur Fehleinschätzung gehört dazu. Schon der Titel seines Buches ist programmatisch, in ihm steckt die These: Facebook dominiert unsere Gegenwart! Sind wir ehrlich: Es sind vor allem Fragen, die uns helfen, die digitale Revolution zu verstehen. Wie verändert uns ein globaler Erlebnistaumel wie Facebook? Wie beeinflusst es unsere Identität, wenn wir uns, vermittelt über Kommentare und Likes, scheinbar selbst eine (erfundene?) Identität zusammenbauen können? Was macht es mit unserer Selbstwahrnehmung, wenn wir permanent am Leben anderer, zum Teil fremder Menschen, teilnehmen dürfen? Schwindet unsere Aufmerksamkeit für das alltägliche, analoge Umfeld immer mehr? Ist der aufgeklärte Zugang zur Welt nicht auch einer, der Distanz voraussetzt? Und wo bleibt diese Distanz, wenn in unserer Timeline permanente Gegenwart vorüberzieht? Wie steht es um unsere Horizonterweiterung und Bildung, wenn die Facebook-Algorithmen so funktionieren, dass sie uns nur das vorsetzen, was uns eh schon gefällt? Kann man sich in einer digitalen „Selbstbeweihräucherungsblase“ noch weiterentwickeln? Lieben wir „Likes“ mehr, als echte Küsse? Und vor allem: Bleiben nicht die unterschiedlichen sozialen Schichten letztlich auch durch und dank Facebook unter sich?

Es ist nicht die Quantität der Geräte, es ist der menschlich-allzumenschlicher Gebrauch derselben, der entscheidet. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Läuft man in diesen Tagen durch Straßen und Parks, dann fällt eine neue Spielart der Benutzung des Smartphones auf: Menschen gehen auf virtuelle Monsterjagd. Pokémon Go heißt das neue und bezahlbare Erfolgsspiel, das vielleicht in näherer Zukunft von der sogenannten VR-Brillen abgelöst wird. Ohne Frage, virtuelle Realitäten breiten sich in unserer Facebook-Gesellschaft aus. Doch was kommt da auf uns zu? Was genau kann man neben dem großen Unterhaltungswert damit lernen? Fragen über Fragen, überall sprießen Antwortversuche, auch im kulturellen Feld.

2016_SAALSAAL2

So fand neulich in Halle das „Foresight“-Filmfestival statt. Dort haben Wissenschaftler und Filmemacher Kurzfilme vorgestellt, die einen Blick in die Zukunft wagen. Da gab es natürlich sowohl pessimistische als auch optimistische Ausblicke. Der Regisseur Dominik Bücheler zeigte den grotesken Werbefilm „OmnisFi – Das Upgrade für ihre Lebensqualität“, der uns digitale Glücksimplantate verkaufen will, die direkt mit unserem zentralen Nervensystem verbunden sind. Das Versprechen ist so klar wie verlockend und hochdiskutabel: Ewige Sorglosigkeit! Es ging um ein Livestyle-Produkt, das wir uns unter die Haut pflanzen können, ein Livestyle-Produkt, das uns unsere Autonomie raubt. Das Schlagwort für solcherlei Experimente, ganz stark ist es, dass es Büchelers Film offen lässt, ob es sich um ein ausgedachtes oder um ein bereits schon existierendes Produkt handelt, heißt „Bioengineering“.

Ganz anders der Kurzfilm „Virtual Insanity“ vom Architekten Adam Maj. Ist es nicht ganz wunderbar, wenn bereits verlorene Architektur im Zuge der Digitalisierung wieder hergestellt und physisch erfahrbar gemacht werden kann? „Mixed Reality“ heißt hierbei das Schlagwort. Wäre es nicht schön, wenn chirurgische Eingriffe und Operationen vereinfacht werden könnten? Oder nehmen wir den Kurzfilm „2036“ von Lord Bricky. Stellen Sie sich vor, dass es fortan keine überfüllte Schulklassen mehr gibt! Stellen Sie sich vor, VR-Brillen und Head-Mounted Displays (HMD) werden alsbald die Bildungsübermittlung optimieren! Stellen Sie sich vor, Androiden und Rechner könnten Lehrkräfte ersetzen! Mehr noch: Was wäre, wenn trockener Stoff durch 3D-Animationen und VR-Helme besser und spannender vermittelbar ist? Oder wie wäre es, wenn digitale Lernsysteme in Zukunft die angesagtesten Wirtschaftstrends geschickt miteinander verbinden und haargenau sagen können, was man heute lernen muss, um in der Zukunft ein sozialen Gewinner zu sein. Vielleicht zeigen die digitalen Lernsysteme sogar eine Arbeitsplatz-Simulation und eine Gehaltsprognose an. Es sind diese Ausblicke in die Zukunft, die uns ein Gefühl dafür vermitteln können, dass wir momentan in starken Umbruchszeiten leben.

Fragen Sie beispielsweise einmal Musiker oder Journalisten, wie sich die digitale Verfügbarkeit ihrer Produkte auf ihren Geldbeutel ausgewirkt hat. Und wie steht es mit dem Einsatz „denkender“ Apparate? Können sich Maschinen gegen ihre Entwickler wenden? Es ist noch viel zu früh, ein Urteil über die digitale Revolution zu fällen. Vielleicht kann man am Ende des 21. Jahrhunderts mehr sagen, wir jedenfalls stecken mittendrin. Und sollten dabei auf keinen Fall das Fragen verlernen.

Weitere Informationen zum Forsight-Filmfestival gibts hier:


Über den Autor