Im Angesicht der Gletscher

29. Oktober 2012, 14:03 Uhr,

Sich tagelang auf einem Höhenwanderweg durch das Hochgebirge zu bewegen, ist eine der schönsten, sportlichsten und aufregensten Möglichkeiten, die Alpen kennenzulernen.


Im Angesicht der Gletscher

Vor rund einem Jahr unterhielt uns Hr. Hobe mit seiner Artikelreihe über China. Auch diesmal war er unterwegs, doch nicht beruflich, sondern auf Schusters Rappen in den Stubaier Alpen. Allen Wanderfreunden, Naturfans, Bergverliebten und Tirolurlaubern, bzw. denen, die es noch werden wollen, viel Vergnügen beim lesen.

„Der Stubaier Höhenweg ist eine der schönsten Bergwanderungen in den Alpen. Die stattliche Länge von 120 Kilometern und satte 8000 Höhenmeter sollten niemanden abschrecken, denn zahlreiche Hütten und die gute Erreichbarkeit einzelner Etappen ermöglichen es, das Tagespensum nach Können und Kondition zu variieren.“

 

Diese Anpreisung verführte mich.

Schon einmal war ich – allein – auf dem Stubaier Höhenweg unterwegs gewesen und hatte ich mich gewundert über die Vielfalt der Eindrücke: Blumen, Bäche, bunte Steine und natürlich die grandiosen Ein- und Ausblicke in diese wunderschöne Bergwelt. Doch die Vorhersage unfreundlichen Wetters hatte mich damals dazu verleitet die Tour abzubrechen. Jetzt wollte ich es noch einmal versuchen und buchte eine von einem ASI-Bergführer geführte Tour. Diese war zwar etwas teurer, aber in der Gemeinschaft einer Bergwandergruppe kann der innere Schweinehund nicht so leicht die Oberhand gewinnen, wenn mich die Berge nebelverhangen und nasskalt empfangen würden.

Und auch diesmal sollte es ein regentrüber Start werden, zu dem sich eine bunte Truppe im Hotel Almhof einfand. Am Beginn stand eine angenehme und wenig anstrengende Höhenwanderung vom Treffpunkt Neustift/Milders an. Den Rucksack transportierte die Seilbahn bis hinauf zur Franz-Senn-Hütte und erleichterte uns den Aufstieg zu einem Panoramaplatz erster Klasse. Die lieblichen, runden Formen des Schiefergneis begrüßten uns mit blumigen Böden. Wir könnten nicht widerstehen der Sonne beim Untergehen zuzuschauen und erst dann in die Gaststube überzusiedeln. Die Franz-Senn-Hütte hat den Luxus einer warmen Dusche und eines geräumigen Gastraumes, wie mittlerweile viele der hochgelegenen Hütten.

 

Die Almwiesen um die Franz-Senn-Hütte erschienen fast paradiesisch im Vergleich zu den eher kargen Berghängen, die wir als unsere nächste Etappe im Blick hatten. Überall sprudelt Wasser und in einem Tümpel nahe der Hütte spiegeln sich die vergletscherten Alpeiner Berge: schroffe, spitze Gipfel aus Granit. Ein Juwel aus Wasser – der Rinnensee – liegt eineinhalb Stunden oberhalb der Hütte und damit eigentlich abseits des Höhenwegs. Trotzdem wollten wir dieses Highlight der Stubaier Alpen nicht links liegen lassen. Dieser Platz hat eine besondere Ausstrahlung und es lohnt sich, in den saftigen Wiesen vor dem See einige Zeit zu verbringen.

 

„Heiße“ Route zu kühlen Seen

Nach einem königlichen Frühstück zogen wir am nächsten Morgen Richtung Schrimmennieder weiter. In dieser Scharte hängt oft bis in den Frühsommer hinein eine gefährliche Wechte. Um diese riskante Stelle sicher umgehen zu können, sind in den Felsen daneben Drahtseile verankert. Der Aufstieg zur Scharte ist gemütlich, uns überraschte er mit einem schönen Ausblick hinüber auf den Hauptkamm. Oben hatte die Sonne die Wechte größtenteils schon abgeschmolzen.

 

Die Neue Regensburger Hütte steht an einem romantischen Ort: In Kurven schlängelt sich hier der Falbeson-Bach durch die sumpfigen Böden, die mit einem Meer aus Wollgras übersät sind. Dieser kleine Spaziergang von der Hütte ins Hohe Moos lohnt sich immer, bevor man sich beim Hüttenwirt über die Verhältnisse beim Übergang über die Grawagrubennieder erkundigt, einer der Schlüsselstellen des Höhenwegs. Oft genug liegt Alt- oder Neuschnee im felsigen Gelände unterhalb der Scharte und bei viel Schnee helfen die darunter liegenden Drahtseile auch nicht mehr. Auf der Scharte wurden wir mit einem wunderschönen Ausblick auf die wichtigsten Berge des Hauptkamms, wie Wilder Freiger und Zuckerhütl, belohnt. Der steile Abstieg machte keine Probleme, es lag nur wenig Schnee hinter der Scharte, das Schwerste war geschafft. Bald zog der Weg gemütlich durch die Südflanke der Ruderhofspitze zur Hohen Grube. Ein idyllisches Plätzchen! Kleine und große Bäche sprudeln über die Hänge, winzige Seen, umgeben von Wollgras, laden ein zur wohlverdienten Rast. Vergnügt ließen wir unsere Füße im Wasser baumeln.

 

Den Abstecher hinauf zum Mutterberger See sparten wir uns wegen des noch langen vor uns liegenden Marschs. Die Dresdner Hütte unterm Egesengrat ist leider durch die vielen Liftanlagen und kahlen Skipisten wenig einladend. Hütte und Umgebung haben jedoch den Vorteil, dass man hier problemlos die Tour abbrechen und mit der Seilbahn ins Tal fahren oder – in der umgekehrten Richtung – in den Höhenweg „einsteigen“ kann.

 

Am nächsten Tag wanderten wir entlang der schattigen Hänge des Großen Trögler. Nach 20 Minuten konnte jeder selbst entscheiden, ob er fit genug war für den kleinen Umweg auf den Gipfel oder ob er den „schnellen“ Weg über das Peiljoch nahm. Wir wählten den letzteren. Der Abstieg vom Peiljoch ist steil, aber die schwierigen Passagen sind neuerdings mit Drahtseilen abgesichert. Die wohl schönste Etappe des Stubaier Höhenwegs führt zunächst am – wie der Name schon sagt – tiefgrünen Grünausee am Fuß des Wilden Freiger vorbei. Verschiedene kleine Seen unterhalb der Mairspitze bieten wunderschöne Fotomotive und die Abgehärteten nahmen hier im Angesicht der Gletscher ein erfrischendes Bad. Da das Wasser relativ flach ist war die Temperatur in diesem Jahr bereits auf ein akzeptables Niveau gestiegen. Lange schauten wir einem Rudel Steinböcke zu, dass sich unterhalb der Scharte gemütlich ausruhte. Vom Übergang des Niederl führte der Weg steil hinab zur Nürnberger Hütte.

 

 

Am vierten Morgen kamen wir an einem malerischen kleinen Hochmoor, dem „Paradies“, wie die Einheimischen es zu Recht nennen, vorbei. Am Simmingjöchl lohnt es sich, einen kleinen Abstecher über die rötlichen Felsen Richtung Feuersteingletscher zu machen, bevor man zur Hütte absteigt. Am Fuße eines riesigen Gletschertores liegt ein kleiner See, der in allen Grün- und Blautönen schimmert. Auch um die Bremer Hütte findet sich so manches idyllische Plätzchen, an dem sich gut rasten lässt. Zahlreiche Bergsteiger lagerten am Ufer des kleinen Sees, andere machen es sich auf den saftigen Wiesen rund um die Hütte gemütlich. Es lohnt sich, hier noch einmal Kraft zu tanken. Die Etappe hinüber zur Innsbrucker Hütte ist lang und kann nicht abgebrochen werden.

 

Diese Etappe nahmen wir am letzten Tag in Angriff. Frühmorgens ging es los. Tau lag auf den Wiesen, welcher in der aufgehenden Sonne wie tausende Perlen glitzerte. Auch andere waren schon unterwegs, wissend, dass man zeitig genug aufbrechen muss. In der Nacht hatte es geregnet und diese Nässe zwang uns talwärts zu gehen. Der erdige Weg durch die steilen Grashänge wäre recht unangenehm geworden. Wir kamen zügig voran und unten erwartete und bereits besseres Wetter. Doch die Hütte liegt oben und so mussten wir erneut sehr steil, wenn auch auf festem Pfade, bergauf zur Innsbrucker Hütte wandern. Leichter hatten es da die Mountainbiker, die uns von Stein zu Stein springend entgegenkommen. Kurz vor der Hütte erwischte uns wieder der feine Hochgebirgsregen. Doch das war uns nun, nachdem alles gut überstanden war, egal.

 

Der Abstieg von der Innsbrucker Hütte war eigentlich nur noch ein Spaziergang bis hinab ins Tal, vorbei an den wild zerklüfteten Wänden des Serleskamms. Bei Neustift versetzten uns die romantischen Almhütten von Herzeben noch einmal in eine andere Zeit. In Neder kamen wir auf die Straße und nahmen den Bus zurück nach Fulpmes, um abrupt wieder in der Gegenwart zu landen.

Das Hotel Almhof war Start- und nun auch Endpunkt unserer erlebnisreichen Wanderung. Schnell zerstreute sich die bunte Truppe, nachdem dem Bergführer gedankt und die Adressen für den Fototausch notiert waren.

 


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