Auf Zehenspitzen zur Selbsterkenntnis

20. Mai 2014, 15:56 Uhr,

Mathias besuchte das ICZ Leipzig und schaut einer berühmten Ballerina und Ihren Schützlingen über die Schulter. Über Ballett und „göttliche Athleten“.


Auf Zehenspitzen zur Selbsterkenntnis

Lernt man klassisches Ballett, lernt man nicht nur das Tanzen. Neben dem Talent, welches mitzubringen zwingend notwendig ist, kommen im Laufe der Jahre Fähigkeiten hinzu, die auch fernab der Bühne Vorteile mit sich bringen. Ein Besuch im Internationalen Choreografischen Zentrum (ICZ) Leipzig.

Auf dem Spinnerei-Gelände wird seit fünf Jahren professionell unterrichtetMontserrat León Göttliche Athleten müssen nicht alle werden

Die 42-jährige Montserrat León schnippt mit den Fingern. Mattia Cambiaghi versteht sofort. Er ist 24 Jahre jung und weiß, dass er nun seine Partnerin auf Händen tragen muss. Die Ausbilderin für klassisches Ballett kann sich etwas entspannen, die erfahrenen TänzerInnen brauchen nicht ganz so viel Anleitung wie die Neulinge. Auch Letztere bildet León aus, ab sechs Lebensjahren sind alle Talentierten, egal ob männlich oder weiblich, willkommen. Neben der Ruhe und Konzentration, die in den Räumlichkeiten auf dem Spinnerei-Gelände enorm wichtig ist, hört man dann ab und an Anweisungen auf Französisch: Passé, Plié, Tendu und Jeté. Von den 400 Quadratmeter in der Spinnereistraße 7 kann es in die großen Metropolen und Häuser gehen. Auf Zehenspitzen, im Spagat, mit Drehungen und Pirouetten auf Isomatten fängt es aber an. León erklärt: „Der Ballettsaal muss ein heiliger Tempel sein. Er muss etwas Magisches haben. Draußen kann geschwatzt werden.“

Am ICZ, welches dieses Jahr fünf Jahre alt wird, werden neben der klassischen Ausbildung auch Choreografien einstudiert. Man ist beständig um möglichst viele Auftritte bemüht, das soll die letzte Entschlossenheit und den notwendiger Kitzel erzeugen.

Montserrat León war früher selbst Balletttänzerin Tanz schult das Körpergefühl und die Sensibilität

„Der Körper sagt immer die Wahrheit.“

León kann die Magie des Tanzes aber auch mit dem Leben fernab der Bühnen in Verbindung bringen. Sie ist beständig als Pädagogin gefordert und erläutert: „Bis es perfekt ist, dauert es eine Weile. Tanzen ist ein langer Prozess. Hier ist man vor allem mit sich selbst konfrontiert.“ León weiß wovon sie spricht, ihre weltweite Vita als Tänzerin hat die gebürtige Spanierin zur idealen Ausbilderin gemacht. Kommen die Talentierten an ihre Privatschule, dann erkennt sie das Potential innerhalb einer Minute. „Der Körper lügt nicht. Worte können lügen. Der Körper sagt immer die Wahrheit.“, so die Leiterin. Auf die Körpersprache muss aber nicht nur León achten. Für die TänzerInnen, ganz unabhängig vom Alter, ist es essentiell, dass ihr Verstand die Regungen des eigenen Leibes zu verstehen weiß. Keine leichte Aufgabe. Und nebenher bedeutet ein geschulter Blick für sich selbst auch ein besonderes Gespür für Andere. Ein Kind, das Ballett tanzt, soll im Alltag viel aufmerksamer auf die Haltungen der umgebenden Menschen achten können. Je mehr man sich mit dem eigenen Bewegungsablauf beschäftigt, desto offener kann man die Stimmungen der Anderen erkennen. Die Beobachtungsgabe wird geschärft, der Körper lügt nicht. Der Tanz sei auch eine Art Sprache, er gibt Signale. Kommunikation verläuft nicht nur verbal, mit einem Rhythmusgefühl können Sachverhalte und Emotionen ausgedrückt werden, die es in Worten vielleicht gar nicht gibt. Das musikalische Gespür darf auch nicht vergessen werden, León ergänzt: „Bewegt man sich zur Musik, dann kann man auch die eigenen Emotionen vielfältiger differenzieren, man entdeckt ein Stück weit sich selbst.“

"Heilige" Stille beim TrainingTalente erkennt Montserrat León sofort

Disziplin und Leistungsbereitschaft

Wenn die Eltern kommen und über den Bewegungsdrang ihrer Kinder reden, schaut die Ausbilderin gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin genau hin. Ehrlichkeit ist an der Stelle besonders wichtig: „Wir sind keine Maschinen. Es braucht Zeit. Wer trägt genug Talent, Liebe und Fleiß in sich? Zu viel versprechen, darf ich nicht.“ Schon im Training geht es um die Balance zwischen Leistungsdruck und Lockerheit. Übung für Übung gibt es kleinere und größere Prüfungssituationen. Man trainiert im Team. Die Profis und die HobbytänzerInnen arbeiten zusammen, in gemischten Gruppen wird eine einmalige Symbiose hergestellt. Ob es der Weg zum Profi werden soll, darf jeder selbst entscheiden.

Das schult nicht nur das zwischenmenschliche Miteinander, befördert nicht nur die Kritikfähigkeit, sondern benötigt auch konzentrierte Hochspannung. León lässt einen bezeichnenden Satz fallen, der gewisse Einflüsse auf die Intelligenz nicht leugnen will: „Meine TänzerInnen sind in der Schule alle sehr gut.“ Es sei die Disziplin, die Fähigkeit zur Strukturgebung und die Leistungsbereitschaft, die sowohl beim Tanz als auch bei schulischen Leistungen entscheidend ist. Zudem spielt die Körperbeherrschung eine wesentliche Rolle, in der Schule, an der Universität und beispielsweise bei Vorstellungsgesprächen. „Eine gute Performance ist immer wichtig, beim Tanzen lernt man mit Stresssituationen umzugehen. Man weiß dann, wie man bei unterschiedlichsten Gefühlen zu reagieren hat.“, so León. Die Parallelen zwischen Ballett-Auftritten und der Körperbeherrschung im Arbeitsleben sind verblüffend. 

Montserrat León beobachtet genauOhne (Körper)- Disziplin geht gar nichtsAuf Zehenspitzen vor dem Spiegel

Am Ende ist es dann aber wieder die Balance, die im Vordergrund steht, denn die Leistungsbereitschaft muss zwingend von einer inneren Ruhe begleitet werden. Beim Training solle man Stille aushalten lernen, León legt darauf besonderen Wert: „Nicht nur Kindern fällt es schwer, einmal nichts zu kommentieren, einmal ganz still zu sein. Wir arbeiten viel mit einer heiligen Stille. Das führt zu Entspannungszuständen, die man im Alltag selten erlebt und die so viel Kraft spenden. Manche Leute können Stille nicht mehr aushalten. Das ist schade.“

Kraft und Eleganz

Kraft braucht sie selbst auch genug, nur dank der Hilfe vieler Unterstützer hat sie bislang ihre Privatschule aufbauen und aufrecht erhalten können. Momentan werden Anträge ausgearbeitet, man will sich bald als eine staatlich anerkannte Schule bezeichnen. Und zusammen mit Martina Hefter ist auch ein Buch in Arbeit. Es soll das klassische Ballett den Kindern näher bringen. Und zwar in einer Sprache, die sie verstehen. León lehnt sich zurück. Tanzen und das Lernen im Allgemeinen, ein langer Prozess. Unter warten die SchülerInnen, der Blick und die Körpersprache der Lehrerin verraten eine Aufbruchsstimmung, subtil beobachtend schiebt sie noch in Richtung des Gesprächspartners hinterher: „Wenn Sie die Füße beim Sitzen immer so nach innen drehen, dann ist das nicht gut für den Meniskus.“ Hier will jemand Erfahrungen weitergeben, auch das erfordert Zeit. Montserrat León wird sie sich weiterhin nehmen.


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