1813 /1913 / 2013 – unter Franzosen

7. November 2013, 12:47 Uhr,

Leipzig gedachte in den Oktobertagen zweier zusammenhängender Ereignisse. Zum einen liegt die Völkerschlacht bei Leipzig 200 Jahre zurück, zum anderen thront bereits seit 100 Jahren das gleichnamige Denkmal auf einem Hügel im Süden der Stadt. In einer kleinen Reihe möchten wir uns dem Thema unvoreingenommen nähern, Beteiligte, Verantwortliche und Besucher zu Wort kommen lassen.


1813 /1913 / 2013 – unter Franzosen

Unser letztwöchiger Artikel fand erfreulicherweise viel Zuspruch und half sicherlich ein Stück dabei, zu Unrecht bestehende Vorurteile gegenüber Reenactern abzubauen. Doch unser Besuch vor Ort beschränkte sich nicht allein auf einen Verein und die Verbündeten. Um das Thema etwas breiter zu beleuchten, suchten wir auch das französische Biwak auf und setzen somit wortwörtlich über die Pleiße und zur Gegenseite über.

Unser Fußweg führte uns vom Festanger über die Flächen des Wildgeheges am AgraPark, durchs Dölitzer Holz bis zum Dölitzer Torhaus. Unterwegs kamen wir an allerlei Lagerplätzen vorbei, sahen russischen Kosaken beim Säbeltanz, preußischer Landwehr beim Exerzieren und französischen Verbänden beim Zeltaufbau zu. Schon erstaunlich, welche Menge an historisch gewandeten Personen und auch Neugierigen (wie uns) unterwegs war. Sogar die Sonne spielte kurz mit, just als wir uns in der Nähe der Parkgaststätte befanden und ermöglichten eine ganze Reihe guter Fotos und ein wenig „Fachsimpelei“.

 

Am Torhaus herrschte reges Treiben und ein dauerndes Kommen und Gehen, wobei sich hier unter die buntgekleideten Soldaten auch viele dem Jahr 1813 entsprechend bekleidete Nonkombattanten mischten, Bürgerliche, einfaches Volk, Marketenderinnen etc. Natürlich fehlten auch nicht die – wohl unvermeidlichen – Imbissbuden und Getränkestände, wie man sie gleich oder ähnlich auf jeder Veranstaltung vorfindet.

Wir waren froh den Trubel hinter uns lassen zu können und erreichten alsbald das eigentliche Biwak der französischen und mit diesen alliierten Streitkräfte. Sofort fiel uns die hier herrschende Ordnung auf. Während die Lützower ihre Unterkünfte eher nach eigenem Empfinden plaziert hatten, standen hier alle Zelte in geordneten Zeilen, waren Lagergassen angelegt und alle Bereiche markiert und beschriftet. Am Rand reihten sich säuberlich die Geschütze verschiedenster Kaliber auf.

 

Hier waren wir absolut richtig, denn nach dem Passieren der „Kursächsischen Artillerie“ hatten wir auch den Lagerbereich der französischen erreicht. Steve, unser Gesprächspartner traf kurz danach ein und wir setzten uns in ein gemütliches Verpflegungszelt der nebenan lagernden Sachsen. An Fragen und Neugier unsererseits mangelte es nicht, und so fragte ich nach dem Verein, der Einheit, seiner Meinung zu und seinem Werdegang beim Thema Reenactment und lies mir hernach auch das mitgebrachte Geschütz zeigen und dessen Handhabung erklären.

 

Vollständig und korrekt bezeichnet befanden wir uns bei der:

Interessengemeinschaft „Französische Artillerie der napoleonischen Zeit“  

8e regiment d’ artillerie à pied 1802 – 1815

Mitglied der „Historischen Militärvereinigung 1813 e.V.“ und dem

„Verband Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813 e.V.“.

 

Bereits der Name der IG lässt zu Recht vermuten, dass man es hier mit Tradition und historisch korrekter Darstellung fast noch genauer nimmt. Man entschied sich für diese Einheit, weil es auch ein heute noch in den französischen Streitkräften existentes Regiment darstellt. 1784 gegründet und 1792 erstmals als „8e“ in Erscheinung getreten, wurde die Truppe im Verband mit anderen Einheiten auf allen Kriegsschauplätzen der napoleonischen Ära eingesetzt. Bei fast allen größeren Schlachten konnte sich das „8e“ auszeichnen, so wurde z.B. für den Einsatz bei Austerlitz 1805 der erste Fahnenadler verliehen, eine Ehrung, welche sich Napoleon von den römischen Legionen „borgte“. Vor 200 Jahren standen die Geschütze und Bedienmannschaften größtenteils in der 5. Division des II. Korps im Südraum Leipzigs.  Kein Wunder also, dass man auch zum Jubiläum vor Ort war. Erleichternd kommt hinzu, dass bis auf eine „thüringische Ausnahme“, alle 12 Mitglieder aus Sachsen kommen. Ursprünglich stellte man die französische „Alte Garde“ dar, durch den Glücksfall mit einem Neumitglied auch gleich ein Geschütz zu bekommen, trennte sich die Truppe in Infanterie und Artillerie auf.

 

Seit 1988 ist auch Steve dabei. Da Reenactment kein ausschließlich männliches oder „Single“-Hobby ist, war es kein Wunder, dass er stets mit seinen Eltern bei Treffen dabei war und mit vielen anderen Kindern und Jugendlichen gemeinsam in diese Art Freizeitgestaltung hineinwuchs. Auch 25 Jahre später ist er noch das jüngste, aber zugleich auch eines der Dienstältesten Mitglieder. Nicht unerwartet treffen wir auch seine Frau im Lager. Es ist anzunehmen, dass auch deren zukünftige Kinder frühzeitig das Lagerleben kennenlernen werden. Auf die Frage nach dem Vereinsnachwuchs, relativiert sich der Eindruck jedoch schnell, denn genau hier krankt es wie in vielen anderen Vereinen auch. Zu Wenige lassen sich dafür begeistern, Geschichte selbst zu erleben, statt darüber nur bei Wikipedia nachzulesen.

 

Begeistert spricht Steve vom Reenactment-Hobby. Freunde wiederzutreffen, die man über Jahre kennt, gemeinsam mit anderen Gruppen am Lagerfeuer sitzend zu singen, erzählen, trinken und essen, an den Wochenenden vom Alltag abzuschalten, unter Gleichgesinnten zu sein, dies macht einen großen Teil des Reizes aus. Artilleristen erleben zudem gerade die Gefechtsdarstellungen etwas anders als die in deutlich größerer Anzahl vertretene Infanterie. Man exerziert am Geschütz, bewegt es mit Muskelkraft auf dem Schlachtfeld umher, geht in Stellung und lässt mit dem Ablaufen hundertfach geübter Handgriffe den Geschützdonner ertönen. Viel Marschieren ist dafür nicht nötig, an eine strenge Hierarchie hält man sich dennoch. Als Geschützführer weiß der Bundeswehroffizier wovon er spricht, denn gerade wenn der 4-Pfünder „im Einsatz“ vorgeführt oder abgefeuert wird, sind klare Regeln entscheidend. Sicherheit steht an oberster Stelle, denn selbst wenn aus den Rohren keine Kugeln, sondern nur Mehlwolken in die Luft geschleudert werden, können der Rückstoß der Lafette, die Hitzeentwicklung und vor allem der mit wachsender Einsatzdauer ansteigende Lärmpegel bei unerfahrenen Mannschaften durchaus zu Unfällen führen. Selbstredend müssen auch hier Schwarzpulverscheine abgelegt werden, der Umgang mit Sprengstoffen gelernt und beherrscht werden.

 

Nachdem wir uns thematisch bereits dem Geschütz genähert hatten, wurde es auch Zeit, dieses selbst in Augenschein zu nehmen. Es handelt sich um ein dem historischen Vorbild nachgebautes Modell, wobei man die Dimensionen auf einen 4-Pfünder beschränkte. Aber auch so gilt es rund eine Tonne zu bewegen, auf aufgeweichten Oktoberwiesen sicherlich kein Spaß. 4-6 Mann ziehen und schieben die Lafette, welche an einer Protze angehängt ist. Selbige enthielt alle notwenigen Mittel, Pulver, Kugeln, Lunten etc. Wischer, Ladestab, Eimer u.a. für die Bedienung notwendigen Gerätschaften werden ebenfalls mit dem Geschütz und von der 12-Mann Besatzung (historisch) transportiert. Im Verein handhaben meist 5 Leute die Waffe, wobei der Geschützführer die Kanone einstellt, ausrichtet und Befehle und Zeichen gibt. Ein erfahrener Artillerist kann so jede Minute einen Schuss abgeben. Einen kleinen Eindruck vom Probeschießen vermittelt Euch sicher folgendes Video, welches wir am Folgetag, dem Samstag, aufnehmen konnten.



Von und zum Biwak transportiert jede Gruppe Ihre Geschütze individuell. Im Falle des „8e“ ist es ein umgebauter PKW-Anhänger, mit Transportsicherungen, vom TÜV abgenommen. Andere haben geschlossene Varianten im Einsatz. Die Kanonen müssen alle 5 Jahre zum Beschussamt in Suhl gebracht und beschossen werden, um überhaupt in Veranstaltungen eingesetzt werden zu dürfen.

 

Außer mit Steve unterhielt ich mich mit seinem Vater, der seit 2 Jahren den Artilleriechef gibt, sich um alle organisatorischen Dinge kümmert (und das ist bei Dutzenden Vereinen und den unterschiedlichsten Sprachen kein Pappenstil), sowie weiteren Mitgliedern der IG. Erstaunlicherweise sind sehr viele damit zufrieden einen einfachen Soldaten darzustellen, Verantwortung abzugeben. Wer etwas zu sagen hat, kommandiert, muss dies auch unter Beweis stellen können. Bewährt man sich, vor allem eben durch aktive Vereinsarbeit, langjährige Mitgliedschaft etc. werden auch Orden verliehen oder vakante Positionen durch Empfehlung/ Beförderung neu besetzt.

 

Mit dem Einsetzten der Dämmerung machten wir uns auch hier auf den Weg, nicht ohne zum Abschluss nach den allgegenwärtigen Holzschuhen zu fragen, die wir an den Füßen vieler Darstellern erblickten. Sabots sind handgefertigt, robust und wurden in der Tat damals während der Lagerzeiten standardmäßig getragen. Immer wieder wurde mir bestätigt, wie bequem, warm und praktisch diese seien. Sohle ablaufen, aufplatzende Nähte, verschlissenes Leder? Mit Sabots kein Thema mehr!

 

Nach einem herzlichen Dank an die auskunftsfreudigen und netten Reeancters vom 8. Artillerieregiment zogen wir noch einmal Richtung Süden, den Biwaks der Kavallerie entgegen. Leider gab es dort bis auf sehr matschige Wege wenig zu sehen. Die Tiere waren gut in großen Langzelten untergebracht, Reiter sahen wir im Ganzen gerade einmal 2. Hier galt es auf die nächsten Tage und die Gefechtsdarstellung zu hoffen. Nach Stunden im Biwak hatten mittlerweile nicht nur unsere Haare, sondern auch Kleidung, Rucksäcke und Fotoausrüstung einen starken Rauchgeruch angenommen, der teilweise jetzt noch in manchen Ecken zu finden ist. Wir waren eben mittendrin, statt nur dabei 🙂

Für den Abend ging es noch zum Völkerschlachtdenkmal, um dessen Wiedereröffnung mitzuerleben und fotografisch festzuhalten. Doch dazu mehr im nächsten Artikel.


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