Historische Bildung am Bühnentresen

27. November 2014, 15:35 Uhr,

Geschichtsunterricht muss nicht staubtrocken und Theater nicht allein nur unterhaltend sein. Eine „Live“-Soap Opera der besonderen Art, angesiedelt in Leipzig zur Nazi-Zeit, wird einem mit den Stücken um die Familie Südknecht geboten: emotional, berührend, nachdenklich machend und dennoch mit einem Schmunzeln versehen. So gut kann Improvisationstheater sein, also schaut vorbei!


Historische Bildung am Bühnentresen

Improvisationstheater ist nicht nur alberner Schabernack. Die regelmäßig stattfindende Show „Adolf Südknecht“ überzeugt in Leipzig mit einem hohen historischen und künstlerischen Anspruch. Gekonnt kann sie zwar Geschichtsunterricht nicht ersetzen, ihn aber sehr wohl humorvoll unterhaltend ergänzen.

Gut zwei Jahre ist das Konzept jetzt schon alt, Zeit genug, um neben viel Lob auch ein treues Stammpublikum anzusammeln, welches durch interessierte Neulinge beständig Zuwachs gewinnt. Auch die Förderinstanzen des Freistaates Sachsen und das Kulturamt der Stadt Leipzig konnten gewonnen werden. „Adolf Südknecht: The Improvised Alternate – History-Show“ nennt sich das zweimal im Monat im „Horns Erben“ gezeigte Improvisationstheater. Ergänzt wird es nun auch durch eine Stummfilm-Variante, die ebenfalls regelmäßig dargeboten wird.

Hier geht es hinein in die schauerliche Zeit des Dritten Reiches, hinein in die Geschichte Leipzigs. In der Arndtstraße 33 hatte der Jungunternehmer Wilhelm Horn ab 1926 im Keller feinsten Schnaps, erlesene Weine und edle Liköre produziert. Oben wurde ausgeschenkt. Und genau dort muss die fiktive Figur Adolf Südknecht, gespielt vom 50-jährigen Schauspieler und Regisseur Armin Zarbock, inmitten der Nazi-Zeit die Kneipe am Laufen halten. Seine Familie hilft mit. Da gibt es die Mutter Adele, gespielt von Susanne Bolf, und den Sohnemann Anton, gespielt von August Geyler.

Historisches: Mit 24 Jahren gründet Wilhelm Horn eine Spirituosenfirma, in der Arndtstraße 33 wurde produziert und ausgeschenkt

Die Geschichte von „Horns-Weinstuben“, so hieß das „Horns Erben“ früher, wird im Stile einer Seifenoper erzählt. Wie es sich für eine anständige Soap gehört, sorgt dabei die Familie Südknecht mit wenigen signifikanten Merkmalen für freudige Wiedererkennungseffekte. Der Vater ist grummelig, die Mutter flirtet und singt gerne, der Sohn trotzt die fesche Mütze in den Sturmwind der Alltäglichkeiten und zieht in den kommunistischen Widerstand. Das zog Verfolgungen nach sich, zur Not halten sich alle am Tresen und am hauseigenen Allasch fest. Die Folgen schreiten zeitlich voran. Neueinsteiger brauchen Verständnisprobleme aber nicht zu fürchten, die Zeitreise kommt im humoresken Gewande daher.

Das Publikum sitzt dabei direkt vor dem Tresen und wird schon am Eingang mit einem höflichen „Bonsoir“ in den Raum gelächelt. Im Hintergrund wird gejazzt. Claudius Bruns improvisiert am Klavier, Frank Berger am Schlagzeug. Wandprojektionen und Filmeinspielungen bereichern die Szenen als künstlerisches Bildmittel. Schauspieler Zarbock erklärt bescheiden: „Kult kann man nicht planen. Und so war es auch bei uns. Der Erfolg hat uns überrannt.“

Im Nachhinein kann man das Erfolgsrezept aber erklären. Der Wohlfühlfaktor im „Horns Erben“ gehört zweifellos dazu: Enge Bestuhlung, warmes Licht und eine unverwechselbare Atmosphäre.

Heute erstrahlt in der Arndtstraße 33 das „Horns Erben“ in neuem Glanz Hinter dem Tresen steht der Adolf und muss leider gelegentlich auch Nazis bedienenManchmal wird es schaurig, aber oft beherrscht der Humor das GeschehenHumor kommt nicht zu kurz: v.l.n.r.: Armin Zarbock, Susanne Bolf, August Geyler

Auf der Videoleinwand rattert ab und an eine schwarz-weiße Straßenbahn durchs Leipzig vergangener Tage. Das Lokalkolorit ist ein weiterer Erfolgsfaktor. Manchmal laufen aber auch Originalaufnahmen der damaligen Nachrichten: „Die deutsche Wochenschau“ berichtete propagandistisch vom notwendigen Endsieg der vermeintlichen deutschen Herrenrasse. Der geschichtliche Anspruch ist der Dreh – und Angelpunkt. Zarbock erläutert: „Die Recherche ist unsere Hausaufgabe. Wir recherchieren in Chroniken, in autobiographischen Büchern, Leipzig-Almanachen, besuchen Ausstellungen und schauen Filme aus der jeweilige Epoche.“

Regelmäßige Gäste, Darsteller und Musiker, gehören zum Konzept Hält nicht nur das Kerzenlicht: Claudius Bruns sitzt auch am Klavier.

Welche Informationen am jeweiligen Abend zur Anwendung kommen, wird live entschieden, gut 70 Prozent der angelernten Erkenntnisse gehen verloren. Nur der erste und der letzte Satz stehen fest. Die „Südknechts“ sind Improvisationstheater vom Feinsten. Flexibel wird zwar ohne Planung, aber nicht ohne Überlegung, gehandelt. Hier kommt die langjährige Erfahrung zum Vorschein, alle sind gestandene Improvisations- und Theaterschauspieler. „Ein größeres Kompliment kann es nicht geben, als wenn der Zuschauer glaubt, die gespielten Vorgänge wären geprobt. Sie sind es tatsächlich nicht.“, so Zarbock. Das Publikum, welches nur dann ins Spiel einbezogen wird, wenn es auch Bereitschaft signalisiert, wird angesprochen. So ist immer ein Zuschauer der steinalte Hund der Familie, Leckerlies werden verteilt. Auch regelmäßige Gäste, sowohl Darsteller als auch Musiker, gehören zum Konzept. Zwischen all dem schrägen Humor bringt die Naivität der Figuren die Zuschauer zum Nachdenken. Historisch verbürgte Geschichte, die Fakten werden dokumentarisch abgebildet. Ein Dokumentartheater ist es aber nicht, die fiktive Handlung kann jederzeit vertieft oder episch ausgebaut werden. Man erlebt wahrhaftige Geschichte in narrativer Form.

So gab es in den 30er Jahren eine Wirtschaftskrise und einen starken Mann, der Hilfe und die Erweckung Deutschlands versprach. Prompt empfiehlt Mutter Adele ihrem Mann ein härteres Durchgreifen: „Der Hitler hat so grandios gesprochen. Der kann auch im Theater auftreten. Warum bist du so wenig Führer?“ Die Figuren legen blanḱ und frei ihre Unwissenheit dar, sympathisch muss man sie dennoch hin und wieder finden. Dadurch bleibt bisweilen das Lachen im Halse stecken. Schauerlich ist es, wenn das Publikum rhetorisch ins Konzentrationslager geschickt wird. So kommt ein Sturmbandführer zum Trinken ins „Horns“ und berichtet davon, dass er einer vermeintlichen arischen Herrenrasse angehört, die schon bald die Weltherrschaft an sich reißen wird. Viele Versatzstücke der menschenverachtenden Nazi-Ideologie, die damals den Völkermord als den natürlichen Verlauf des Lebens propagieren wollte, kommen in den Gesprächen der Beteiligten zum Vorschein.

Die Produzenten der "Südknechts" vereint.

Man spürt, wie die einfachen Leute damals eingespannt wurden. Finanzkrise, Gleichschaltung der Medien und Universitäten, die die Rassenideologie bestätigen sollten. Die Familie Südknecht steht mit all ihrer Unwissenheit und den ökonomischen Zwängen mittendrin. Das Nazi-Evangelium, wonach die Deutschen die eigentlich überlegene Rasse wären, wurde damals mit Ritualen, die das Denken und die Kritik abwehren sollten, eingeübt. Die Nazi-Ideologie rechtfertigte das Blutvergießen und betäubte massenhaft die moralisch humanen Maßstäbe. Die Figuren erleben die sich bahnbrechende Kopfwäsche am eigenen Leibe. Sie sind die netten Leute von nebenan und wollen sich ab und an auch als Herrenrasse der Geschichte begreifen. Als Zuschauer steht man dann vor Fragen: Schaut man hier Mitläufern, Opfern oder Tätern zu? Wie groß kann die Schuld der einfachen Kneipersfamilie bemessen werden?

Die „Südknechts“ können sicherlich keinen notwendigen Geschichtsunterricht ersetzen, aber das exzellente Improvisationstheater ist ein Unterhaltungskonzept, dass in die richtige Richtung weist – gerade in Zeiten, in denen es in Sachsen eine Wahlbeteiligung von nicht einmal 50 Prozent gibt und der rechtskonservative Rand von sich Reden macht. Bildung auf den Bühnenbrettern der Republik, humorvoll wird einem Vergessen entgegen gesteuert. Die „Südknechts“ haben die Bewertungs- und Qualitätsmaßstäbe für Improvisationstheater gänzlich neu erfunden. Gelungener realisiert kann man sich diese Theaterform kaum vorstellen.

Nur Not wird sich am Tresen und am hauseigenen Allasch festgehalten

Nächste Vorstellungen:

  • Adolf SüdknechtThe Improvised Alternate-History-Show: 15. Dezember, 20 Uhr, Theater Mandroschke, Halle (Saale)
  • Adolf Südknecht – Die Stummfilm-Variante „Lichter der Großstadt“: 29. Dezember, 20 Uhr, Horns Erben, Leipzig
  • Adolf Südknecht – Die Stummfilm-Variante „Lichter der Großstadt“: z7.Januar, 20 Uhr, Horns Erben, Leipzig

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