Wege zur Bildung – China, ein Arbeitsbericht – Teil 3

1. Dezember 2011, 08:10 Uhr,

China hat nicht nur am meisten Menschen, sondern auch am meisten Arbeitskräfte weltweit. Doch wie wird dort gearbeitet, was macht man anders als in Deutschland? China, ein Arbeitsbericht, Teil 3.


Wege zur Bildung – China, ein Arbeitsbericht – Teil 3

Sicher sind sie ebenso gespannt wie ich, wie es weitergeht. Es folgt Teil 3 des Arbeitsberichts.

Neunter Einsatztag: 25. Mai 2011

Am frühen Morgen sitze ich am Rechner, weil mein Körper die sechsstündige Zeitumstellung allmählich begreift und ich die Nacht durchschlafen kann. So finde ich etwas Zeit im nun weniger strapazierten Netz spazieren zu gehen.

Mein Tagesablauf beginnt um 7 Uhr mit einem europäisches Frühstück im Hotel. Dabei fällt mir auf, dass die Chinesen auch zur ersten Mahlzeit viel Gemüse, Fleisch und Fisch essen, das Gleiche, so scheint es mir, wird auch mittags und abends serviert. Brot fehlt in der chinesischen Küche völlig. Die private einfache Küche soll stets aus drei bis vier Bestandteilen bestehen. Bei uns eigentlich nicht anders, nur alles auf einem Teller.

Jeden Morgen um 9 Uhr werde ich vom Chauffeur durch den abenteuerlichen Verkehr ins Werk gefahren. Dort warten schon der Dolmetscher Xiaojin und die Assistentin Lu, beide Jahrgang 1988. Zuerst basteln wir an meinen Vorträgen und dem Protokoll vom Vortag. Nach der einstündigen Mittagspause gehe ich begleitet vom Qualitätsleiter in einen Produktionsbereich auditieren. Anschließend Resümee und Aufbereitung des Gesehenen in unserem kleinen Büro oder in der großzügigen Bibliothek. Es gibt jedes Mal viel zu besprechen. Mit Hinweis auf das mehr als ein Dutzend externer Audits, die in den vergangenen Jahren von chinesischen Auditoren durchgeführt wurden, auch manches zu überdenken. 

Um 17 Uhr ist Büroschluss, wir gehen in die Betriebskantine zum chinesischen Abendessen – mit Stäbchen. Das ‚europäische Besteck‘ liegt immer in Reichweite und auch wenn ich es nicht bräuchte, benutze ich es. Das Personal, das unser Dinner bereitstellt und später abräumt, soll nicht auf den Gedanken verfallen, es würde nicht mehr benötigt. Das Essen ist hier im Nordosten Chinas gut bekömmlich. Auch in der Wahrnehmung der Menschen hier unterscheidet es sich vom Essen im Süden: ‚In Kanton essen sie alles!‘ – so die hiesige Meinung.

Gegen 18 Uhr werde ich dann wieder im Hotel abgeliefert und habe Zeit für ungestörte Arbeit. Bis gestern habe ich ein 20-seitiges QM-Lexikon deu-eng-cn vorbereitet, damit im Unternehmen auch eine eindeutige Verständigung möglich ist. Die chinesischen Einträge müssen auf einem chinesischen Computer von der chinesischen Norm abgeschrieben werden, weil kein pdf-file oder ein Scanner verfügbar ist. Sie haben tief durchgeatmet, aber ich denke es wird klappen – mein Beitrag ist jetzt fertig. Erst als ihre mühevolle Arbeit geschafft ist, entdeckt der Dolmetscher die pdf-files der chinesischen Ausgaben im Internet!

Gegen 22 Uhr ist Schluss. Noch erlebte ich keinen Augenblick Langeweile. Die vorsichtshalber mitgebrachten Zeitungen und Zeitschriften liegen weiter unberührt auf dem Nachttisch.

Die erste Tranche meines Taschengeldes habe ich angerissen. Gestern konnte ich nach längerem Suchen, mit Dolmetscher und ortskundigen Fahrer, in der Postfiliale sechs komfortable Ansichtskarten, mit Briefmarken versehen, kaufen. Der Angestellte musste dafür extra einen Schlüssel holen, um den Schrank mit selten nachgefragten Auslagen zu öffnen. Bei dieser Gelegenheit bezahlte ich 22 Yuan mit einem 100 Yuan-Schein, auf den mir sicher kein Kioskverkäufer hätte herausgeben können. Ein deutliches Zeichen, dass man hier nicht auf Touristen eingerichtet ist.

Dreizehnter Einsatztag – Wochenende: 29. Mai 2011

Die zweite Woche ist nun schon  vergangen und die Audits in der Produktion liegen hinter mir. Das Auffällige in allen Abteilungen der ca. eintausend Mitarbeiter im Unternehmen ist das auch schon andernorts vermerkte ausgeprägte hierarchische Verantwortungs­bewusstsein. Natürlich spüre ich, dass in Abhängigkeit von meinen Feststellungen in den ersten Bereichen im nächsten ‚Vorkehrungen‘ getroffen sind. Das erleichtert es mir jedoch, das Alte hinter mir zu lassen und neue Aspekte in den Fokus zu nehmen.

Der erste Vortrag für die 2. Managementebene am Dienstag ist vorbereitet; ich muss heute nur noch das Feintuning, den Sprung zum erläuternden fotografierten Beispiel oder passenden Konfuziusspruch einbauen. Vorher mache ich über Mittag noch eine Wanderung auf den Hügel hinterm Hotel. Überrascht fotografiere ich dort im parkähnlichen Wald ein Spruchband. Es ist, wie mein Dolmetscher etwas abfällig übersetzt, eine Mahnung an die Bürger, ihre Anlagen zu schützen. Da werden Erinnerungen wach!

Das Wetter ist derzeit geprägt von einem gleichmäßigen, aber starken sommerwarmen SW-Wind, also auch im Sonnenschein für mich erträglich. Wenn dieser Wind jedoch im Januar bei minus 30oC bläst, möchte ich nicht im Freien sein! Die Verhältnisse momentan sind angenehm, ein regnerischer Sommer mit, heute früh, 23 oC.

Gestern wurde mir der Wunsch erfüllt, den Palast des letzten chinesischen Kaisers von Japans Gnaden, Puyin, in der Provinzhauptstadt zu besuchen. Für mich gilt: ‚Person’s over 70 year’s free entry!‘ Die Japaner hatten hier eine recht einfache Residenz errichtet, die jedoch keinem Vergleich mit dem Pekinger Kaiserpalast standhält. Die Alibi-Funktionen des Vasallenstaates waren nur im minimalsten Ausmaße möglich. Verbunden mit dem Palast ist ein Museum zur ‚Japanese Occupation of North-East-China (Manshu State)‘. Eine sehr eindrucksvolle Darstellung dieser für die einheimische Bevölkerung brutalen Zeit von 1932 bis 1945 mit zahlreichen Parallelen zum damaligen besetzten Europa.

Siebzehnter Einsatztag: 02. Jun 2011

An den ersten beiden Tagen hatte mich der Qualitätsleiter gefragt, ob ich nicht müde wäre und in der einstündigen Mittagspause schlafen möchte. Meine beiden Assistenten müssen jedoch beschäftigt sein und so ziehe ich ohne Schlaf am Mittag durch.

Der erste Vortrag ist gehalten und ein Mitschnitt läuft auch schon auf dem riesigen Bildschirm am parkähnlichen Werkseingang im Wechsel mit Beschlüssen der Geschäftsführung und aufmunternden Sprüchen und Videos der Festveranstaltungen zum 40-jährigen Betriebsjubiläum. Der zweite Vortrag vor dem gleichen Gremium ist für morgen geplant. Mit dem Qualitätsleiter habe ich vereinbart, dass jeder Teilnehmer eine Hausaufgabe über das Wochenende zu lösen hat. Er war etwas erstaunt, doch nachdenklich stimmte er zu und ich bin gespannt was dabei herauskommt. Ich habe meine Audits abgeschlossen und beginne nun die Empfehlungen zu formulieren.

Am Dienstag, der kommende Montag ist hier Feiertag und ich habe frei, erhoffe ich ein weiteres Gespräch mit dem Generalmanager und ihn zu einem gemeinsamen Betriebsrundgang zu überreden. Leider bekam ich ihn diesmal nicht mehr zu Gesicht. Er blieb in der restlichen Zeit meines Einsatzes auf einer Dienstreise durch Asien.

In der letzten Woche sind noch zwei halb vorbereitete Präsentationen vor den Mitarbeitern der Technologie-oder-Entwicklungs-oder-Konstruktions-Abteilung vorgesehen. Im Bereich Qualitätswesen will ich auf die schwierige Lage ‚neben‘ der Technologie-oder-Entwicklung-oder-Konstruktion, eine Abteilung mit einer etwas verworrenen Aufgabe und dem beherrschenden Vertrieb eingehen. Falls die Zeit reicht, ist noch eine Strategie für den nächsten Zertifizierungszyklus ab 2012 zu besprechen, dann hoffentlich mit fähigeren Auditoren.

Morgen erhalte ich mein restliches Tagegeld und weiß noch gar nicht, was ich damit anfange. Ich habe um die Begleitung bei einem Einkaufsbummel gebeten und hoffe auf Schmuck oder irgendein kleines Kunstwerk zu stoßen.

to be continued…


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