Wege zur Bildung – China, ein Arbeitsbericht – Teil 2

8. November 2011, 09:29 Uhr,

China hat nicht nur am meisten Menschen, sondern auch am meisten Arbeitskräfte weltweit. Doch wie wird dort gearbeitet, was macht man anders als in Deutschland? China, ein Arbeitsbericht, Teil 2.


Wege zur Bildung – China, ein Arbeitsbericht – Teil 2

Weiter geht es mit Herrn Hobes lesenswerten Bericht.

Fünfter Einsatztag: 21. Mai 2011

Bei dem von mir initiierten Gespräch mit dem Generalmanager heute Morgen, – nach der höflichen an mich gerichteten Gegenfrage: „Arbeiten Sie auch am Wochenende?“ – bekam ich ‚grünes Licht‘ für meine fotografische Bestandsaufnahme im Unternehmen. Das Werk wurde vor 40 Jahren weitläufig errichtet. Der Betrieb verfügt über großzügige, unterschiedlich ausgerüstete Hallen. Einerseits, die durch eine Schleuse zu betretende staubfreie Halle zum Schutz vor elektrostatischer Aufladung, und andererseits die gezwungenermaßen staubigen Hallen für die Vormontage der riesigen Anlagenteile.

Gegenwärtig wird eine der alten Hallen abgerissen und eine moderne Lagerhalle an ihrer Stelle gebaut. Nachdem man das Eingangstor, vorbei am salutierenden Werkschutz, durchschritten hat, fangen hinter einem parkähnlichen Eingangsbereich zwei große dreigeschossige Bauten den Blick auf. Sie beherbergen die Büros der Unternehmensleitung, eine prachtvolle Bibliothek, eine Sporthalle und mehrere Speisesäle. Wir speisen im Direktoren-Speiseraum, der noch nach dem Stil der Kulturrevolution eingerichtet ist!

Ihre Erwartung, dass noch bis zum externen Audit durch die chinesische Zertifizierungsgesellschaft im Dezember deutliche Veränderungen durchsetzbar seien, musste ich zunächst dämpfen. Der Termin zum nächsten Wiederholungsaudit 2012, als Start mit einem optimierten QM-System, scheint jedoch erreichbar zu sein. Über meinen nächsten Einsatz in einem viertel Jahr für 2-3 Wochen ist auch schon gesprochen worden („Bringen Sie Ihre Frau doch mit!“). Das große Interesse an ‚deutschem Qualitätsmanagement‘ ist augenscheinlich.

Meine ‚Konfuzius-Sprüche‘ in der kurzen Präsentation sind gut angekommen, sicher auch, weil im Foyer des Geschäftsführer-Gebäudes eine gleiche Statue wie in Marzahn steht: überlebensgroß und in Granit gegenüber der Eingangsflügeltür.

Allmählich bewältigte ich die Zeitumstellung. Heute, am Samstag, habe ich meine zwei Begleiter, den Dolmetscher und eine Assistentin, die als Versicherungsspezialistin im Pekinger Büro des Unternehmens arbeitet, in mein Hotel zum Abendessen eingeladen. Das hat den Vorteil einen Landeskundigen für die Speisenauswahl zu haben, denn auch die englischen Namen der Gerichte helfen nicht weiter. Das chinesische Abendessen besteht aus einer verwirrenden Zusammenstellung von vielen verschiedenen Gerichten: kalt und warm, Fleisch, Fisch und Gemüse, sowie ‚Sättigungsbeilagen‘ wie Reis, ungesüßte Eierkuchen, Teigtaschen und süße Mais-Hefeklöße, dazu verschieden Soßen und eine dünne Suppe mit Einlagen als Abschluss. Alles wird dann abwechselnd in kleinen Portionen mit Stäbchen zum Mund ‚geführt‘, die Suppe mit dem dicken Porzellanlöffel. Die Stäbchen versuchte ich schon, doch nehme ich mir das Recht des Ausländers, ab und zu mit Gabel und Messer zu essen, gern wahr.

Das Hotel besitzt einen Sportraum, den ich heute erstmals nutzen will. An der Uferpromenade könnte man ebenfalls spazieren gehen, doch bis jetzt war es abends dafür zu kühl. Die ca. 200m hohen bewaldeten Hügel in der Nachbarschaft habe ich für einen längeren Ausflug ins Auge gefasst.

Jeden Morgen werde ich am Hotel mit dem Buick, einem chinesischer Lizenzbau, abgeholt und über äußerst wechselvollen Straßenzustand etwa eine halbe Stunde ins Kombinat gefahren. In der Stadt gibt es neben einwandfreien Streckenabschnitten aber auch welche mit sehr schadhaftem Belag. Solche rädertiefe Löcher habe ich auf noch keiner öffentlichen Straße gesehen. Sie tauchen unvermittelt auf, gewöhnlich mit Schwellen von ebensolchen Dimensionen im unregelmäßigen Wechsel. Das Selbstfahren ist ausdrücklich nicht in dem SES-Versicherungspaket enthalten, und bei dem für mich ungewöhnlich ‚freizügigen‘ Autoverkehr verzichte ich auch gern. Lastwagen in der linken Spur werden auf der Gegenfahrbahn überholt, wenn rechts kein Platz ist oder zu tiefe Löcher drohen. Fußgänger sind nicht nur beim Überqueren auf der Fahrbahn, sondern laufen auch neben dem Bordstein, nicht immer auf der äußersten rechten Seite. Und die Radfahrer radeln inmitten der Autos, auch ohne Handzeichen rechts- oder linksabbiegend. Die Verständigung der Autofahrer erfolgt über verschiedene Hupsignale und klappt erstaunlicherweise, sowohl mit den Fußgängern und Radfahrern, als auch mit den anderen Autofahrern und ersetzt Spurtreue und regelgerechtes Verhalten. Doch selbst bei der üblicherweise geringen Geschwindigkeit ist dies nichts für schwache Nerven!  

Ich habe den Eindruck gewonnen, dass hier, im Straßenverkehr, ein markanter Unterschied zum deutschen Verständnis des sozialen Verhaltens augenfällig wird: Jeder versucht in der augenblicklichen Situation ‚zurecht zu kommen‘, d.h. unter Beobachtung des Partner­verhaltens werden die Chancen, die eigenen Interessen durchzusetzen ausgelotet und das Verhalten daraufhin eingerichtet. Auf die vereinbarten Regeln wird, wenn überhaupt, nicht in erster Instanz Bezug genommen. Diese Eigenschaft, sicher durch die eigentümliche chinesische gesellschaftliche Entwicklung über 600 Generationen hinweg erzwungen, ist in einer arbeitsteiligen Welt fatal, wenn Vereinbarungen situationsabhängig interpretiert werden und insbesondere wenn die Funktionsfähigkeit, die Qualität eines Produktes nur dem Anschein nach eingehalten wird.

Das Bemühen um Sauberkeit in der Stadt ist unübersehbar. An den Hauptstraßen kümmern sich die wegen des allgegenwärtigen Staubes wie Räuber maskierten Straßenkehrer um die Beseitigung der ‚Abfälle‘ der Lastwagen und das Ablaufen des Regenwassers. Ich konnte beobachten, dass sich die plötzlich auftretenden Samen der zahlreichen die Straßen säumenden Pappeln zunächst als halbmeterhohe Wälle im Rinnstein sammelten. Mit einem Großeinsatz der Wassersprengwagen war diese ‚weiße Pracht‘ am nächsten Tag bereits beseitigt.

Mein Dolmetscher, ein Germanistikstudent mit abgeschlossenem 4.Studienjahr gibt sich viel Mühe. Er hofft auf eine Anstellung im Unternehmen. Vor dem heutigen Essen im Hotel werde ich mit ihm und der Assistentin über die west-östlichen ‚Kulturklippen‘ sowie die Schlüsselbegriffe der Qualitätsmanagement-Norm anhand der chinesischen und der deutsch-englisch-französischen Ausgaben sprechen, damit er korrekt übersetzen kann. ‚Ganzheitliches Denken‘ und ‚Naturwissenschaftliches Denken‘ – auf unterschiedlichen Wegen stellen sich auch unterschiedliche Ergebnisse ein, ein Fakt, der sich deutlich im Sprachaufbau zeigt. Jedoch, mir bis zuletzt unbegreiflich, funktioniert die Übersetzung und die Gespräche sind flüssig; – es ist eine angenehme Zusammenarbeit.

to be continued…


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