Leipziger Jugendparlament – Per Speeddating in die Politik

18. März 2015, 20:52 Uhr,

Jugendliche wählen ihr eigenes Parlamant und können Lokalpolitik aktiv mitbestimmen. Ein Leipziger Experiment, welches wir aktiv begleiten möchten.


Leipziger Jugendparlament – Per Speeddating in die Politik

In Leipzig laufen gerade die Vorbereitungen für ein Jugendparlament, welches am 16. April erstmals im Neuen Rathaus eine konstituierende Sitzung abhalten soll. Vom 23. bis 29. März können alle 14- bis 21-jährigen Leipziger ihre Volksvertreter wählen. Wir besuchten die offizielle Vorstellung der jungen Kandidaten am 16. März in der Volkshochschule Leipzig.

Dieser Tage muss man kein Prophet sein, um festzustellen, dass es in Deutschland eine verbreitete und tiefe Vertrauenskrise in demokratische Prozesse gibt. In Sachsen äußert sich das beispielsweise in einer geringen Wahlbeteiligung. Auch das Auflodern skurriler Kräfte, die das Versagen von Politik und Medien behaupten und selbst „die Wahrheit“ gepachtet haben, gehört dazu.

Entfernt von Großeinsätzen der Polizei bereitet man passenderweise gerade in Leipzig ein Jugendparlament vor. Die Idee dazu kursiert schon seit Anfang der 2000er Jahre, im April 2011 lud die Stadtverwaltung Jugendliche zu einem ersten Workshop ein. Inzwischen, so erklärt Corinna Graf, Geschäftsführerin des unterstützenden Vereins „Stadtjugendring Leipzig“, gibt es „einen Grundsatzbeschluss des Stadtrates“. Bald wird es also die parlamentarische Form für Jugendliche in Leipzig geben, zur offiziellen Vorstellung der Kandidaten hatte die Volkshochschule am 16. März geladen.

Corinna Graf, Geschäftsführerin des Vereins „Stadtjugendring Leipzig“ stellte die Kandidaten in der Volkshochschule vor

Dort war das Ganze in Form eines Speeddatings organisiert, eigene Vorstellungsvideos flatterten von den Bildschirmen. Corinna Graf hielt das Mikrofon fest in den Händen, sie moderierte die Veranstaltung und brachte die Konstellation auf den Punkt: „Jetzt müssen die Jugendlichen mal selber schwitzen.“.

An den Tischen hatten 31 Kandidaten zwischen 14 und 21 Jahren, allesamt parteilos und ein Drittel weiblich, Platz genommen. Die Interessierten besuchten sie abwechselnd. Drei Minuten lang, die zählende Sanduhr stand vorn plaziert, konnte man von Tisch zu Tisch schlendern und Fragen loswerden: Wer bist du? Warum machst du mit? Was erhoffst du dir? Was willst du verändern? Welche Ziele hast du? Wie willst du es schaffen, Sprachrohr für andere Menschen zu sein? Lautes Gemurmel im riesigen Saal.

Das positive Gefühl der Mitbestimmung lag in der Volkshochschule in der Luft Der gut gefüllte Saal verdeutlichte das große Interesse der Jugendlichen

Corinna Graf, ihr Verein steht schon eine Weile beratend zur Seite, brachte die Ambitionen zum Ausdruck: „Die Jugendlichen haben die Hoffnung auf eine direktere Mitbestimmung im Stadtrat, ohne auf das Wohlwollen Erwachsener, des Oberbürgermeisters oder der Stadträte angewiesen sein zu müssen. Ich persönlich und auch mein Arbeitgeber, sind überzeugt davon, dass Jugendliche sehr gut wissen, was gut für sie ist und was sich ändern soll. Sie haben ein feines Gespür für Ungerechtigkeiten, wenig Verständnis für Ausreden und sind an unserer Stadt interessiert.“

An den Tischen der Volkshochschule war die Themenpalette der jungen Kandidaten aus ganz Leipzig sehr groß, kommunale und allgemein-gesellschaftliche Belange wurden genannt. Da ging es um die Preise des Nahverkehrs, um bezahlbare Mieten, um kostenlose Mitgliedschaften in Sportvereinen, um kostenloses WLAN in der Innenstadt, um die Legalisierung von Cannabis, um Graffiti-Freiflächen, um die Kluft zwischen florierenden und vernachlässigten Stadtteilen und um kulturelle Freiräume innerhalb einer Leistungsgesellschaft, die auch schon in der Schule zu spüren sei. Nicht zu vergessen: Die Umwelthemen und die Asylpolitik.

Von Politikverdrossenheit keine Spur

Der pädagogische Begleiter des Projektes, eben jener Stadtjugendring Leipzig, bat die Pressevertreter darum, keinen Kandidaten bevorzugen herauszustellen. Vom verbindenen Geist im Saal kann man aber dennoch berichten. Fernab aller Inhalte war es das Gefühl der Mitbestimmung, welches immer wieder betont wurde. Exemplarisch stand dieser Kommentar eines jungen Mannes: „Ja, wir glauben, etwas erreichen zu können. Durch das Jugendparlament fühlen wir uns jetzt auch verantwortlich. Ich denke, dass wir im Stadtrat vom links-liberalen Flügel offen empfangen werden, offener als von den konservativen Kräften.“

Keine Frage, das Speeddating im vollen Saal der Volkshochschule erfreute sich hoher Akzeptanz, aber letztlich war es nur eine von vielen Etappen, die zur Mitbestimmung führen soll. Markus Welz, Mitarbeiter beim Stadtjugendring, verwies auf die nächsten Ziele: „Das Jugendparlament wird die Stadtpolitik in Leipzig bunter und vielfältiger machen. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre es, eine möglichst hohe Wahlbeteiligung bei der Onlinewahl zu erreichen.“

Vielfalt statt weltanschauliche Verschwörungstheorien: Der Stadtjugendring Leipzig setzt sich für demokratische Prozesse ein 31 Kandidaten aus und für Leipzig, alle zwischen 14 und 21 Jahre alt Eine Stimme muss man nicht nur haben, sondern auch nutzen

Die Onlinewahl. Sie beginnt am Montag und endet am Sonntag, vom 23. bis 29. März dürfen alle 14- bis 21-jährigen Leipziger abstimmen. In den letzten Tagen hat es eine postialische Wahlbenachrichtigung gegeben. Eine Pin-Tan-Kombination ist in der Wahlwoche der Eingangscode zur Onlinewahl, ebenso muss man ihn auch in den ausgeschriebenen Wahllokalen parat haben. Drei Stimmen stehen für die Wahl zur Verfügung, diese können, so Graf, an „einen Kandidaten vergeben oder auf bis zu drei Kandidaten aufgeteilt werden“. Wer nicht die Möglichkeit hat, von einem eigenen Gerät zu wählen, kann sich mit seiner Wahlbenachrichtigung an eines der acht Onlinewahllokale oder an eine der zahlreichen und stadtweit verteilten Wahlgelegenheiten wenden. Auf jeden Fall soll eine höhere Beteiligung als bei den Erwachsenen während der Kommunalwahl erreicht werden.

Das vorläufige Endziel ist dabei klar. Es ist das zukünftige Jugendparlament, welches aus 20 Vertretern bestehen soll. Am 16. April um 17 Uhr soll Oberbürgermeister Jung die erste konstituierende Sitzung des Jugendparlamentes im Neuen Rathaus eröffnen. Diese Sitzung ist öffentlich, ebenso wie alle weiteren Sitzungen auch.

Wie es in demokratischen Strukturen nun einmal so ist, hat dieses vorläufige Endziel eine längere Entstehungsgeschichte. Der Verein „Stadtjugendring Leipzig“ ist seit Mitte 2012 Träger des Projektes. Corinna Graf zeigte sich mit dem bisherigen Verlauf sehr zufrieden, von Politikverdrossenheit im Umfeld der Initiativgruppe hat sie nichts gespürt: „Es ist in kurzer Zeit gelungen, junge Menschen aus allen Stadtteilen, allen Altersgruppen und verschiedenen Schulformen zu motivieren, sich um eine Kandidatur zu bewerben. Die Kandidaten sind dabei so vielfältig wie das Leben im Jugendparlament selbst. Jetzt wird es eine echte Wahl geben und es wird spannend, wie sich die Kandidaten präsentieren.“

Die Speeddating-Idee kam bestens an

Jugendliche müssen aktiv an der Politik teilnehmen

Das sei ein gutes Zeichen für die Demokratie und bedeute, dass sich „Jugendliche für die Politik in der Stadt interessieren und daran teilhaben wollen.“ Man könne auch von wegweisenden Entwicklungen für die Zukunft sprechen, Graf erläuterte: „Eine Stadt, die ihre Bürger frühzeitig an der Gestaltung ihrer Gesellschaft beteiligt und nicht erst dann auf bürgerliches Engagement verweist, wenn das Geld knapp wird, kann sich darauf verlassen, dass ihre Leipziger, egal ob jung oder alt, für sie einstehen.“

Man wird die Entwicklungen abwarten müssen, das Vertrauen in demokratische Prozesse ist wahrlich keine Naturnotwendigkeit, es kann jederzeit aufgekündigt werden. Aber eins steht schon jetzt fest: Das kommende Jugendparlament ist für junge Leipziger die perfekte Gelegenheit, um für jenes Vertrauen sensibilisiert zu werden.

Alle weiteren Informationen gibts direkt beim Jugendparlament. Telefonisch sind Mitarbeiter des Stadtjugendringes unter 0341/689 485 9 oder 0152/342 606 74 zu erreichen.


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